Berge und Seen, Kirchen und Klöster, Schlösser und Bauernhäuser, Obst und Rebensaft: Die Steiermark ist reich an Schätzen der verschiedensten Art – sei es nun in der Natur, der Kultur, der Geschichte oder der Kulinarik. All dies verbindet der Fernwanderweg „Vom Gletscher zum Wein“. Und das auf gleich zwei Routen – eine im Norden, eine im Süden dieses wunderschönen österreichischen Bundeslandes. Als echter Weitwander-Fan habe ich im Juli gemeinsam mit meiner Frau Christine und Arco, unserem treuen vierbeinigen Begleiter, auf den ersten drei und drei der letzten Etappen der Nordroute erkundet, was es da alles zu sehen, zu erleben und auch zu genießen gibt.

Start beider Routen ist übrigens der Dachstein-Gletscher bei Schladming. Wir sind zu unserer Tour dabei mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist – was sehr zu empfehlen ist. Erstens kommt man stressfrei in den Westen der Steiermark und zweitens sind Parkplätze in dem winters wie sommers (zurecht) überaus beliebten Urlaubsort doch eine rare (und meist kostenpflichtige) Angelegenheit.

Zudem kann man, bevor es dann am nächsten Tag so richtig los geht, noch gemütlich durch das Zentrum des Ortes schlendern, der im Mittelalter aufgrund des Bergbaus zu Wohlstand kam. Das älteste Dokument, in dem der als Stadt tituliert wurde, stammt übrigens aus dem Jahre 1322. Dass sich die Bergknappen rund 200 Jahre später im Zuge der Reformation dem Bauernaufständen gegen den Salzburger Fürstbischof anschlossen, bekam ihnen nicht gut – Erzherzog  Ferdinand I. aus dem Hause Habsburg ließ die aufmüpfige Stadt fast völlig dem Erdboden gleichmachen und erkannte ihr zugleich ihre Rechte ab. Erst 400 Jahre später sollte Schladming dann wieder als Stadt firmieren dürfen.

Und daher trägt auch der Stadtbräu, wo wir uns das Abendessen schmecken ließen, seinen Namen mit Fug und Recht. Christine bekommt von  Christina Esterl, der freundlichen Bedienung, herrliche Eierschwammerl (Pfifferlinge) serviert, während ich mich für Kasnocken (in meiner schwäbischen Heimat sagt man Spätzle) mit Ennstaler Graukäse entscheide. Christina klärt  mich schon vorher auf, dass der doch recht streng schmecke. Ich wage es trotzdem – und bin hoch zufrieden…

Freundlich und kompetent: Christina vom Stadtbräu in Schladming serviert Christine Salat mit Eierschwammerln.

Am nächsten Tag geht’s dann nach dem reichhaltigen und ausgezeichneten Frühstück im Jufa-Hotel in Schladming los: Mit dem Bus 960 fahren wir über die Ramsau, die Religionsgeschichte geschrieben hat (von 1599 bis zum Toleranzedikt von 1782 lebten die Bauernfamilien auf der Hochebene ihren evangelischen Glauben im Geheimen und gelten daher als „Pioniere des lutherischen Glaubens in Österreich“), hinauf zur „Talstation“ der Dachstein-Gletscherbahn in der Nähe der Türlwandhütte. Die liegt immerhin auch schon gut 1700 Meter hoch (daher die Anführungszeichen).

Wer Wartezeiten vermeiden will, sollte übrigens vorher reservieren. Die Zeiten lassen sich ja ganz gut einschätzen: Der Bus 960 fährt ab 8.11 Uhr mindestens einmal pro Stunde vom Schladminger Rathausplatz aus ab.

Auf unserer ersten Etappe vom Gletscher zum Wein machen wir es uns zunächst gemütlich: Die 1000 Höhenmeter zur Bergstation am Hunerkogel, die übrigens genau an der Landesgrenze zwischen Salzburg und Oberösterreich liegt, überwinden wir mit der Seilbahn, die ohne eine einzige Stütze auskommt, in acht Minuten. Von der atemberaubenden Szenerie an der Südwand des Dachsteine bekommen wir indes nicht allzuviel mit: Just, als wir losfahren, legt sich eine dicke Nebelsuppe über das Massiv. Aber die Gondel gleitet sanft dahin. Vorteil:  Bei den schlechten Sichtverhältnissen wird’s empfindsamen Zeitgenossen (wie mir) weniger schwummrig.

Aber der Nebel lichtet sich, als wir oben ankommen. Unser erster Eindruck: Dort oben kämpft eine Welt ums Überleben. Leider mit wenig Aussicht auf Erfolg. Die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Seit 1856, als der Dachstein-Gletscher (nebenbei bemerkt: der einzige Oberösterreichs und der östlichste der Alpen) mit einem Volumen von 400 Millionen eine Fläche von 5,3 Quadratkilometern bedeckte, hat seine Masse um rund die Hälfte abgenommen. Und er ist auch nur noch etwa ein Drittel so groß wie damals.

Auch auf dem Dachstein ist der Gletscher leider auf dem Rückzug.

Wer früh genug dran ist (was sehr zu empfehlen ist), kann sich noch Gletscher-Feeling im Eis-Palast am Rande des Gletschers gönnen und dabei auch viel Wissens- und Nachdenkenswertes erfahren. Wer weiß, wie lang das noch geht?

Blick zurück von der Hütte der Bergrettung – am Drahtseil entlang geht es jetzt nach unten.

Aller Anfang ist schwer – auch bei dieser Wanderung: Lange (nämlich rund eine halbe Stunde) müssen wir nach dem Einstieg in den Fernwanderweg Vom Gletscher zum Wein suchen. Kein Schild weist bei unserer Tour auf dem Weg am Rande des Gletschers auf den Einstieg hin (was sich hoffentlich wieder ändern wird). Nach intensivem Kartenstudium auf der App von Alpenvereinaktiv steht für uns fest: Die sicherste Orientierungshilfe ist unter den gegebenen Umständen die schon von der Bergstation sichtbare kleine Hütte der Bergrettung. Ab dort geht es auf dem Weg 674 Richtung Guttenberghaus, unserem heutigen Ziel. Wie wir abends erfahren, gibt es auch noch einen Weg über den Gletscher, der Zeit spart, aber sehr von den Schneeverhältnissen abhängig ist. Daher der Tipp: Erkundigt Euch vor dem Start an der Bergstation, welcher Weg für Euch heute am besten ist!

Hier ist unser Weg – endlich sind wir richtig!

Auf unserem Weg wird es gleich zu Beginn ziemlich haarig. Kurz nach der Bergrettungs-Hütte geht es an einer Seilsicherung steil bergab. Arco, unserem treuen vierbeinigen Begleiter, wird es da blümerant, er traut sich nicht so recht weiter, aber wir bekommen ihn mit etwas Hilfe dann doch hinunter auf ebenere Gefilde. Aber eins ist sicher: Die Kategorie „schwierig“, in die dieses Teilstück eingeordnet ist, stimmt absolut. Bergerfahren sollte man schon sein. Eine „Einsteiger-Tour“ ist diese Etappe auf jeden Fall nicht.

Zunächst geht es für uns eine lange  Strecke bergab.über Geröll bergab. Doch langsam, aber sicher gewinnt der Gletscherschliff die Oberhand. Nun kann man sich auch eine konkrete Vorstellung davon machen, wie groß dieser gewaltige Gletscher dereinst gewesen sein muß. Ich fühle mich jetzt sicherer als auf dem Schutt zuvor. Auf dem glatten Untergrund haben meine Schuhe doch einen guten Grip.

Auf dem Gletscherschliff kommen wir gut voran.

Tiefe Trichter im Boden, Wasser rinnt aus Felsspalten – beides macht uns deutlich: Der Dachstein ist ein Karst-Gebiet. „Dachsteinkalk“ bezeichnen die Experten dieses Gestein, das in der Trias entstand – und dieses Erdzeitalter ist immerhin zwischen 200 und 250 Millionen Jahre her. Jetzt im Frühling lohnt sich genaues hinsehen. Zwischen den Ritzen und Spalten erblühen in dieser Jahreszeit kleine und kleinste Blümchen.

Tiefe Trichter im Boden. Der Dachstein ist ein Karstgebiet.

Meine Frau Christine Schneider, exzellente Biologin und kompetente Naturführerin, macht mich darauf aufmerksam. Und erzählt mir: „Auf diesen paar Kilometern kann man binnen weniger Stunden praktisch die ganze Sukzessions-Stufen erleben.“ Was das ist? „Der Vegetationsaufbau nach der Eiszeit.“ Und konkret sieht das so aus: „Zunächst ist da der Gletscher. Wenn kein frischer Schnee mehr da ist,  entstehen die ersten Lebewesen – Bakterien.“ Ist der Schnee verschwunden, dominiert der nackte Fels. Aber wir sehen jetzt auch die ersten (gefiederten)Tiere: Ein Schneehuhn (im grauen Kleid gut getarnt) über und durch die Steine, versteckt sich und ruft (und etwas später kreist auch noch ein Adler über uns).

Biologin und Naturführerin Christine ist voll in ihrem Element…

Flechten wiederum sind die Pioniere der Vegetation. Als erste Blümchen entdeckt Christine Gletscher-Hahnenfuß und Alpen-Mohn, Alpen-Leinkraut und Stängelloses Leimkraut. Und als es in der Erdgeschichte (und jetzt auf unserer Wanderung) wärmer wurde, kamen Alpenrosen und Latschen hinzu – und schließlich kann sich auch der flächige Wuchs breit machen: grüne Matten mit Blumen wie der Silberwurz.

Der Alpen-Mohn: ener der ersten Pflanzen, die wir sehen.

Den mittleren Teil dieser Etappe können wir nun sogar in der Sonne gehen. Wunderbar windet sich der Weg dahin und oben weicht jetzt sogar der Nebel, so daß ich immer wieder einen der Gipfel der Dachstein-Gruppe fotografieren kann.

Der Nebel verschwindet – und die Gipfel zeigen sich…

Schon zuvor haben wir aus der Ferne kleine Gruppen von Schafen entdeckt, aber nun steht uns ein mutiges Leittier aus der Herde vom Stöcklbauer direkt im Weg. Ob es uns gar attackieren wird? Ganz im Gegenteil: Es lässt sich von mir sogar genüsslich kraulen. Das spüre ich halt doch wieder das Schäfer-Blut in meinen Adern: Sowohl auf Mutter- wie auf Vater-Seite finden sich viele Hirten unter meinen Vorfahren. Und irgendwie scheinen diese Tiere das zu spüren. Wir sind uns auf jeden Fall gegenseitig sehr sympathisch…

Neugierig und freundlich: Die Schafe vom Stöcklbauer begrüßen uns.

Immer parallel zu einer Skitourstrecke kommen wir nun flott voran. Aber dann erwischt es uns doch: Es beginnt zu regnen, und den nächsten steilen Abstieg müssen wir mit „Segen von oben“ in Angriff nehmen. Später sehen wir uns erneut mit Seilsicherungs-Passagen konfrontiert. Aber mittlerweile haben wir uns an den Regen gewöhnt und kommen mit den widrigen Bedingungen klar. Ich bin erstaunt, wie gut das klappt.

Endlich sind wir am Feistersattel angelangt – und sehen 50 Höhenmeter unter uns das Guttenberghaus. Es ist also nur noch ein Katzensprung. Hunde dürfen nicht in Alpenvereinshütten – aber wir kommen stattdessen im Winterlager ein paar Meter entfernt unter. Und auch dort ist es sehr gemütlich.

Gleich sind wir da: Wir freuen uns schon aufs Guttenberghaus!

Wie auch die gesamte Hütte: 1914, im Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs also, wurde das Guttenberghaus (übrigens mit 2146 Metern die höchstgelegene Alpenvereins-Hütte der Steiermark) erbaut. Und seither befindet es sich fast komplett noch im Originalzustand – und diese 110-jährige Tradition ist es vermutlich nicht zuletzt, die das ganz besondere Flair dieser Hütte ausmacht.

Doch einen großen Beitrag dazu leistet auch Günter Perhab, seines Zeichens Hüttenwirt mit Leib und Seele. 25 Jahre am Stück sorgt er nun schon für das Wohl seiner Gäste, dazu kommen weitere sieben vor einer kurzen Pause – macht also insgesamt 32! Doch damit hat es noch lange kein Ende mit der Hüttenwirts-Tradition der Familie Perhab. Günters Eltern Eduard (Edi) und Kunigunde (Kuni) wirkten schon seit 1967 in dem der Sektion Austria des Österreichischen Alpenvereins gehörenden Haus. Am Rande notiert: Die Austria ist die älteste Sektion aller alpinen Vereine auf dem europäischen Festland.

Bis 1980 musste alles per Pferd dorthin nach oben gebracht werden: Vierbeiner Max tat da an der Seite von Edi treue Dienste. Sechsmal pro Woche nahmen die beiden den langen Weg hinab in die Ramsau und wieder zurück auf sich. Erst 1980 wurde die Materialseilbahn errichtet, die heute die Hütte versorgt. Dass auch Kunis und Edis Vorgänger Nelly und Gottlieb 40 Sommer hier oben verbrachten, lässt mehr als nur erahnen, wie wunderschön es dort unter den Hausbergen  Sinabell und Eselstein ist. In mehr als hundert Jahren gab es nur fünf Hüttenwirte! Auch das sagt vieles.

Und wer dort zu Gast ist, spürt, mit welcher Leidenschaft Günter, seine Frau Jitka, Sohn Rene sowie die beiden nepalesischen Team-Mitglieder Pema und Mingma ihren Dienst tun. Die vielen Kletterer bekommen kompetente Auskunft über die Routen in der Nähe, Wanderer erhalten verlässliche Auskunft über den aktuellen Zustand der Wege.

Und dazu kommt noch das tolle Essen. Auf der Speisekarte stehen sowohl steirische Spezialitäten (wie Bergsteigergröstl oder Kaiserschmarren), als auch nepalesische Leckereien wie das Nationalgericht Dhal Bat aus Linsensoße und Reis.

Pema aus Nepal bringt das leckere Abendessen an den Tisch.

Und so was läßt die Mühen des Tages leicht vergessen…

Infos zur Etappe

ACHTUNG: Wer diese Fernwanderung gehen möchte, sollte sich vorhin unbedingt die GPX-Daten der jeweiligen Etappen herunterladen. Die Markierung zählt (vornehm ausgedrückt) nicht zu den allergrößten Stärken dieser wunderbaren Tour. Die Hinweise sind nur briefmarkengroß auf vorhandenen Wegweisern aufgeklebt und oft ausgebleicht, vom Regen unleserlich gemacht oder gar nicht vorhanden.

Die GPX-Daten zur Tour findet Ihr unter anderem hier (ACHTUNG: Die Einschätzung der Schwierigkeit – mittel – teile ich nicht, wir empfanden sie als schwierig)

Gegangen am 22. Juli 2024

Länge: 7,3 Kilometer
Höhenunterschied: 150 Meter auf, 700 Meter ab
Start: 12.45 Uhr / Ziel: 19 Uhr
(Anmerkung: Unsere Zeiten unterscheiden sich von den im Internet und auf den Wegweisern angegebenen reinen Gehzeiten. Sie sollen darstellen, wie lange etwas ältere Wanderer mit 13-Kilo-Rucksack, die auch gern einmal rasten und die Schönheiten am Wegesrand betrachten  oder sich mit anderen unterhalten, de facto – und nicht theoretisch – gebraucht haben).

Weitere: Informationen zur Region gibt es hier:

www.schladming-dachstein.at/de

www.steiermark.com