Corona: eine Zeit des Stillstands. Eine Chance zum Rückblick. Und zur Erinnerung an schöne Momente und außergewöhnliche Menschen. Wie zum Beispiel Franco Sciaratta aus Sutera auf Sizilien.
Schon aus der Ferne zieht mich der „magische Felsen“ von Sutera fast magisch an. Wir sind wieder auf unserer Wanderung auf der Magna Via Francigena (dem Pilgerweg von Palermo nach Agrigent) relativ spät von Cammarata weggekommen, zudem war es beim Frühstück in der Golden Bar in San Giovanni Gemini (dem Nachbarort) einfach zu gemütlich (ich gönne mir sogar ein Eis), unterwegs treffen wir viele nette Leute, es gibt viel zu sehen, und im Nachhinein bin ich sogar froh, daß wir in Aquaviva Platani, wo wir um 14 Uhr waren, keine Einkehrmöglichkeit gefunden haben.
Stattdessen haben wir uns auf der Passhöhe hingesetzt, Orangen gegessen, die Seele baumeln lassen und (wie gesagt) diesen herrlichen Felsen bewundert. „Nun kann es ja nicht mehr weit sein“, denken wir. Aber typischer Fall von denkste! Dass das heute nur 20 Kilometer sein sollen, wie im Internet angekündigt, glaube ich damals am Abend und auch jetzt noch nie und nimmer. Denn Sutera liegt nicht etwa, wie von uns vermutet, auf gleicher Höhe und nur einen Katzensprung entfernt – wir müssen erst noch den Hügel vor uns halb umrunden, dann hinunter ins Tal und dann wieder rauf auf die Höhe. Und dann ist unser Nachtquartier, das Bed and Breakfast Piazza, auch nicht wie erhofft gleich am Anfang des langgezogenen Dorfes, sondern am genau entgegengesetzten Ende. Aber es liegt herrlich, und als wir unser Zimmer bezogen haben, erleben wir einen herrlichen Sonnenuntergang.
Aber wir müssen ja noch was essen. Aber wo? Unser Gastgeber empfiehlt uns die Pizzeria La Pineta. Dort koche man gut und typisch. Aber das bedeutet: Nochmal einen gefühlten Kilometer zu Fuß. Denn die liegt noch weiter außerhalb. Aber was sollen wir machen? Also: Nicht jammern – auf geht’s!
Das Datum, an dem wir Franco dort in seinem Lokal begegnet sind, ist mir heute noch genau in Erinnerung: 8. März 2020. 2020 – das Corona-Seuchenjahr. Und der 8. März? Der Internationale Frauentag. Der spielt zwar in (West)Deutschland und in Österreich keine so große Rolle. Aber offensichtlich in Italien und heute speziell in Sizilien.
Als wir das Ristorante betreten, bin ich nämlich der einzig männliche Gast (später sollte sich dann noch ein zweiter hinzugesellen). Etwa zehn Tische sind hingegen ausschließlich von Frauen besetzt, die sich offensichtlich gut unterhalten.
Dass wir einen solchen Hunger haben, hat auch einen Vorteil: Wir müssen nicht ewig überlegen, sondern nehmen das (wie sich später herausstellt, super-günstige und ganz ausgezeichnete) Festtags-Menu, das Franco zusammengestellt hat. Und da nehme sogar ich vorneweg die Fisch-Platte. Ich bin ja sonst kein so großes Freund des schwimmenden Getiers. Aber bei Franco spüre ich: Es ist eben schon ein Unterschied, ob man einen Fisch im Rems- oder Neckartal im Schwabenland oder direkt fangfrisch aus dem Mittelmeer rund um Sizilien zu sich nimmt. Da kann sogar ich etwas genießen, was ich normalerweise niemals bestellt hätte.
Aber Frauentag im La Pineta: Das heißt nicht nur gut essen und trinken, sondern auch: Musik. Und DJ Vicio Arnone, der mit zunehmender Länge des Abends zu immer größerer Hochform aufläuft, singt gleich zu Beginn eines meiner absoluten Lieblingslieder: Zuccheros „Donne“ („Frauen“).
Die Stimmung wird immer besser, der Holzofen glüht verführerisch auf Hochtouren – und davor schwitzt Franco, der Chef höchstpersönlich und schiebt einen herrlich aussehenden Teig nach den anderen in das Steingemäuer.
Irgendwie kommen wir Franco wohl bekannt vor. Und deswegen kommt er nach dem Hauptgang auch an unseren Tisch: „Bist Du nicht Jürgen Gerrmann?“, fragt er. Woher er das weiß? Wie sich herausstellt ist er ein fleißiger Facebooker – und verfolgt dort die Seite der Magna Via Francigena offensichtlich ganz genau: „Ich hab die ganzen letzten Tage Deine tollen Fotos dort bewundert“, sagt Franco zu mir. Vielleicht hat er ja sogar ein bissle mit uns gerechnet.
Auf jeden Fall verstehen wir uns blendend, Franco bringt mal einen Prosecco, mal einen Grappa – und dann serviert er auch noch die leckeren Desserts seiner Mutter.
Und dann dürfen wir sogar noch ins Allerheiligste – zu Mama in die Küche.
Ein großer Vertrauensbeweis zweifelsohne. Und wir fühlen uns geehrt.
Draußen im Saal geht es immer höher her, die Frauen begeben sich so gut wie nicht mehr von der Tanzfläche, und selbst ich tanze dann noch (für meine Verhältnisse) wie der Lump am Stecken, wie der Schwabe zu sagen pflegt. Und auch Franco stellt seine Tanz-Künste eindrucksvoll unter Beweis.
Bis 2 Uhr halten wir durch, dann fordert der lange Tag seinen Tribut. Aber Franco will uns nicht nach Hause gehen lassen: „Ich fahre Euch selbstverständlich!“
Doch das ist im Grunde nichts gegen das, was am nächsten Tag folgt: Der Lockdown wird auch für Sizilien verkündet, wir stranden mitten in der Pampa und wissen nicht, was wir nun machen sollen. Am Abend zuvor hat mich Franco beim Abschied ermahnt :“Wenn es irgendwelche Probleme gibt, ruf mich an!“. Und mir seine Telefonnummer gegeben. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich so schnell darauf zurückkommen muß.
Franco zögert keine Sekunde: „Ich hole Euch ab!“ Und als wir nicht wissen, wo wir schlafen können und wie wir zu unserem hervorragenden Ford Transit Euroline, der ja auch ein prima Nachtquartier ist, zurückkommen, ist das für ihn keine Frage: „Ich habe heute Ruhetag. Ich fahre Euch dorthin!“ Wohlgemerkt: Unser Auto stand nicht etwa im Nachbardorf, sondern 100 Kilometer entfernt. Auf den zum Teil miserablen sizilianischen Straßen und bei hereinbrechender Dunkelheit dauert das dann fast zweieinhalb Stunden.
Wir wollen Franco noch zu einem guten Essen einladen, aber es lehnt ab: „Ich fahr lieber gleich wieder heim.“
Ich denke mir: Bei uns in Deutschland hätte das wohl kaum jemand gemacht.
Und: Franco Sciaratta war ein Engel aus Sutera für uns.
Schön, daß ich so was erleben durfte.
Grazie mille per tutto caro Franco!
Das werde ich nie vergessen!
1 Kommentar
Uta · Januar 6, 2021 um 10:40 am
Deine Berichte machen Appetit und Lust auf Land und Leute, Kultur und gutes Essen,
Danke euch,
Uta
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