Der Bergbau ist der ganze Stolz des Erzgebirges. Und damit auch der Region um Europas Kulturhauptstadt 2025. Als dessen Wiege gilt ein eine Dreiviertelstunde von Chemnitz entferntes Städtchen: Freiberg. Ein Abstecher dorthin ist überaus empfehlenswert, wie ich bei einem Besuch im Rahmen einer internationalen Pressefahrt erleben durfte.

Dass an dieser Stelle überhaupt eine Stadt entstand, hat mit einer gehörigen Portion Zufall zu tun: 1168 entdeckten Salzfuhrleute, die von Halle an der Saale in Richtung Böhmen unterwegs waren, an einer Furt über die Mulde Silbererz, das einen viel höheren Gehalt an Edelmetall aufwies als etwa im Harz. Markgraf Otto von Meißen, der von seinen Zeitgenossen nicht ohne Grund den Beinamen „der Reiche“ erhielt und damals Landesherr dieses Gebiets war, erkannte schnell die Chancen, die sich durch diesen Fund ergaben, und forcierte die Besiedlung dieses ressourcenträchtigen Ortes. Wer sich hier eine neue Existenz aufbauen wollte, erhielt großzügige Privilegien (anfangs durften die Bergleute, die dorthin strömten, ein Drittel des Silbers behalten, später ein Zehntel), schon bald sorgte eine Stadtmauer, die im Laufe der Zeit einen Umfang von 2,7 Kilometern erreichen sollte, für Sicherheit, und so konnte das Gemeinwesen blühen und gedeihen.

Innerhalb dieser Mauern wurde nicht nur große Geschichte geschrieben, sondern ereigneten sich auch viele kleine Geschichten, die einen staunen und schmunzeln lassen. Ich hatte das Glück, an einer ganz besonderen Führung teilnehmen zu dürfen: „Anna Magdalena Poltermann“, die geschwätzige Haushälterin des weltberühmten Orgelbauers Gottfried Silbermann (einem der großen Söhne der Stadt), lotste uns (in Gestalt der überaus stadtgeschichtskundigen Ellen Köstner) von Kleinod zu Kleinod durch durch und über die romantischen Gassen, Straßen und Plätze der Silberstadt, wie sich Freiberg (zurecht) voller Stolz nennt.

Voller Esprit und Sachkunde führt einen Ellen Köstner als Reinkarnation der Haushälterin des großen Orgelbauers Silbermann durch Freiberg (links neben ihr Martin Ennulat vom Kulturamt der Stadt Freiberg).

All das aufzuzählen, was da auf uns wartete, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber ein paar Glanzlichter sollen dennoch aufleuchten. Am Wohnhaus von Wilhelm August Lampadius, seines Zeichens Professor für Chemie und Hüttenkunde an der Bergakademie Freiberg, geschah dies zum Beispiel im Jahre 1811 im wahrsten Sinne des Wortes: In seinem Laboratorium m Hinterhof hatte er aus Steinkohle Gas hergestellt, mit dessen Hilfe  man etwas Licht in die Freiberger Nacht zu bringen vermochte, und installierte an seiner Fassade die erste Gaslaterne Kontinentaleuropas. Doch das war nur der Anfang: 1816 richtete er im Amalgamierwerk Halsbrücke eine Anlage zur Leuchtgaserzeugung ein, die bis 1895 in Betrieb war.

Ganz in der Nähe kommen Naschkatzen voll auf ihre Kosten: Das Café Hartmann dürfte wohl der einzige Ort sein, an dem man süßen Hasenbraten essen kann. Und das geht auf eine Geschichte zurück, die sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts bei einer Zecherei des Meißener Markgrafen Friedrich mit der gebissenen Wange mit dem Kaplan des Doms St. Marien ereignet haben soll: Wie bei derlei Herrschaften nicht unüblich, soll den edlen Herren kurz vor Mitternacht noch ein Gelüste nach einem Hasenbraten überfallen haben. Das Blöde nur: Es war Fastenzeit und derlei ja eigentlich tabu.  Doch der Hofkoch Bauer wusste einen Ausweg aus dem Dilemma: Er erfand ein Gebäck in Form eines Hasen, das mit Mandeln gespickt war. Heute ist der „Bauerhase“ eine eingetragene Marke und wird nur in dem romantischen 100 Jahre alten Wiener-Café-Ambiente des Café Hartmann hergestellt und verkauft (das Haus selbst ist über 400 Jahre alt).

Ein romantisches Ambiente plus eine einzigartige Spezialität: das Café Hartmann ist die Heimat des Freiberger Bauerhasen.

Doch das ist nicht die einzige süße Leckerei, die Freiberg zu bieten hat: Ebenfalls 800 Jahre reicht die Geschichte der Freiberger Eierschecke zurück. Die Sachsen sind ja seit eh und je Fans ihrer geliebten Eierschecke. Das war auch zu Zeiten des Baus der Freiberger Stadtmauer so. Allerdings tauchte da ein Problem auf: Den für den leckeren Kuchen nötigen Quark brauchte man noch dringender als Binder für das gewaltige Bollwerk, das Feinde abwehren sollte. Aber die Freiberger erwiesen sich als überaus findig und variierten das Dresdner Rezept: „Mehr Eier, mehr Butter, mehr Zucker“, umreißt es  Anna Magdalena Poltermann in kurzen Worten. Seither wetteifern die beiden Städte darum, welche Eierschecke nun die bessere ist. Ich kann dazu nur eins sagen: Die Freiberger (gebacken im Cafehaus Markgraf Otto) schmeckte einfach wunderbar!

Schon Frau Poltermanns Chefs, der Orgelbauer Silbermann, wusste die Freiberger Eierschecke zu schätzen…

… hier eine Detailansicht.

Von der Blütezeit der Silberstadt zeugt natürlich auch das Rathaus, das den Obermarkt dominiert. Kein Wunder, dass sich auch in diesem herrlichen Renaissancebau die Bergwerkstradition widerspiegelt: Täglich um 11.15 und 16.15 Uhr erklingt von dessen Turm das alte Bergmannslied „Glück auf, der Steiger kommt!“ Für den wunderbaren Klang sorgt ein Glockenspiel aus echtem Meißner Porzellan, das die weltberühmte Manufaktur 1986 den Freibergern geschenkt hat. Nicht ohne Grund: Sie wollte sich damit dafür bedanken, dass Freiberger Hüttenleute dereinst  ihrem „Urvater“Johann Friedrich Böttger bei der Entwicklung der Technologie zum Brennen des „weißen Goldes“ geholfen hatten…

Das prächtige Freiberger Rathaus prägt den Obermarkt.

Das große Wissen um den Bergbau in Freiberg entfaltete sich aber auch dank der 1765 gegründeten Bergakademie. In ihr wurde unter anderem 1886 von dem Chemie-Professor Clemens Winkler das Germanium entdeckt, das heute so wichtig für die Mikro-Elektronik ist. Kein Wunder, dass in Freiberg dieser Satz hoch in Ehren gehalten wird: „Alles kommt vom Berge her“.

Auch die Kultur, denn der vom Bergbau rührende Wohlstand ermöglichte den Bau der vielen herrlichen Bürgerhäuser und Kirchen, aber auch die Gründung des ersten Stadttheaters Deutschlands. 1789 (im Jahr der französischen Revolution) trat dort das erste Ensemble auf, und auch heute noch werden dort viele Sparten bespielt: Klassisches Theater, Opernn, Musicals und Kinder- und Jugendtheater.

Pretiosen aus dem Bauch der Erde kann man derweil in der Schatzkammer der Terra Mineralia, der Ausstellung in der Bergakademie im Freiberger Schloss, bestaunen. Die wertvollste ist ein Meteorit, der vor gut 200 Jahren über Chile niederging, die größte vermutlich ein Zeugnis des bisher größten Asteroiden-Einschlags auf der Erde (vor etwa zwei Milliarden Jahren)  in der Nähe von Vredefort in Südafrika. Der gewaltige Himmelskörper dürfte einen Durchmesser von 20 Kilometer gehabt haben.

Die Terra Mineralia ist im Schloss Freudenstein in Freiberg untergebracht.

In dieser Schatzkammer der Mineralogien findet man unter anderem einen Stein-Eisen-Meteorit aus Chile…

… und ein Relikt des bisher größten Ateroiden-Einschlags auf der Erde in Südafrika.

Spirituellen Reichtum kann man wiederum im Dom St. Marien spüren. Schon die ersten Siedler hatten hier die erste Kirche zu Ehren der Muttergottes errichtet. Von ihr sind leider keine Spuren mehr vorhanden, wurde sie doch Opfer des großen Stadtbrandes von 1484. Aber sofort danach machten sich die Bergleute an  den Wiederaufbau im Stil einer spätgotischen Hallenkirche. Wie Kirchenführer Thomas Lange erzählt, gilt das Bauwerk als Vorbild der Leipziger Thomaskirche.

Erhebender Anblick: das Innere des Doms St. Marien.

Eine Seltenheit nördlicher Alpen: Der Freiberger Dom hat gleich zwei Kanzeln. Die 1501 von einem Chemnitzer Künstler mit Namenskürzel H.W. geschaffene „Tulpenkanzel“ wurde kurz vor der Reformation erbaut (1537 fand der erste evangelische Gottesdienst statt) und wurde als frei stehender „hoher und fürstlicher Predigtstuhl“ einst nur an Sonn- und Feiertagen genutzt, die Bergmannskanzel daneben stiftete 1638 der damalige Bürgermeister Jonas Schönlebe aus Dankbarkeit für die Genesung seiner Frau von einer schweren Krankheit. Auch in ihjr lebt die Stadtgeschichte: Ein Bergmann in Arbeitskleidung stützt die Kanzeltreppe, ein Steiger in Paradekleidung trägt den Kanzelkorb.

Kirchenführer Thomas Lange an der Tulpenkanzel.

… und ein Knappe in Arbeitskleidung trägt die Bergmannskanzel.

Weitere Glanzstücke dieses Sakralbaus sind natürlich gleich zwei Silbermann-Orgeln: Die kleinere hat 17 Register mit 700 Pfeifen, die größere gleich 44 Register mit 2664 Pfeifen. Wie letztere klingt, hört Ihr in diesem Video, in dem ihr auch viele Schönheiten dieser Kirche bewundern könnt:

Eine große Stärke einer Stadt ist es zweifelsohne, wenn sie ihre dunklen Stunden nicht versteckt. So erinnert ein Denkmal in der Nähe der Stadtmauer an den „Freiberger Blutsamstag“ vom 27. Oktober 1923, An diesem Tag wurden bei einer Demonstration von Arbeitern und Erwerbslosen gegen die Inflation und die Notlage 29 Menschen durch Schüsse der Reichswehr getötet und viele weitere verletzt. Auch das gehört zu Freibergs Historie.

Erinnerungen an einen brutal niedergeschlagenen Protest: den Freiberger Blutsamstag.

Nach so viel Kultur tut dann aber auch eine Einkehr gut. Aber auch dabei kann man in die Stadtgeschichte eintauchen: Freiberg besitzt eine der ältesten nachgewiesenen Brautraditionen in Sachsen. Bereits im 13. Jahrhundert wurde das Freiberger Bier in historischen Dokumenten aufgeführt. Im Mittelalter erlangte Freiberg das Brau- und Schankrecht und den Vorzug, dass im Umkreis einer sogenannten Bannmeile (mit Radius von etwa  15 km) nur Freiberger Bier gehandelt und ausgeschenkt werden durfte. Noch heute genießt das Freiberger Bier große Beliebtheit in der Region und wird unter anderem im Brauhof ausgeschenkt – wo man auch typische regionale Küche zu genießen vermag.

Zum Ausklang noch ein gutes kühles Freiberger Bier…

Ein schöner Ausklang also für einen Besuch in einem faszinierenden kleinen Städtchen mit großer und reicher Geschichte.

WISSENSWERTES

Auch n Freiberg finden aus Anlass des Kulturhauptstadtjahrs viele Veranstaltungen statt – eine Übersicht findet Ihr hier.

Detailinformationen zum gesamten Programm des Kulturhauptstadtjahres findet Ihr hier.

Infos über die Stadt Freiberg und ihre Schönheiten hält die Silberstadt hier bereit.

Alles Wissenswerte über das Erzgebirge und seine schönen Ziele wartet hier auf Euch.

Tipps für die Region Chemnitz/Zwickau bekommt Ihr hier.

In Sachsen gibt es natürlich auch noch viele andere schöne Ecken – hier erfahrt Ihr alle Details dazu.

RÜCKBLICK

Und hier die vier ersten Folgen meiner Eindrücke von der Kulturhauptstadtregion Chemnitz-Zwickau:

Chemnitz 2025 (1): Im Horch Museum

Chemnitz 2025 (2): Im Robert-Schumann-Haus

Chemnitz 2025 (3): Ein Blick ins Programm

Chemnitz 2025 (4): Silberglanz und Kumpeltod

 


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