Eine Ruhetag in Anger bei Weiz hat uns gut getan. Gut ausgeruht und gestärkt wollen wir ab heute drei der letzten Etappen des Fernwanderwegs Vom Gletscher zum Wein, der auf zwei Routen (die eine im Süden, die andere im Norden) durch die wunderschöne Steiermark mit all ihrer landschaftlichen und kulturellen Vielfalt führt, in Angriff nehmen. Wie zu Beginn am Dachstein wandern wir auf der Nordroute, aber so hochalpin wie beim Start geht es hier in der Oststeiermark natürlich nicht zu. Was indes nicht heißt, daß wir keine Höhenmeter zu bewältigen haben.

Statt im (leider nicht mehr ganz so) ewigen Eis sind wir hier im Apfelland. Fünf Millionen Apfelbäume wachsen hier, wo die Fischbacher Alpen das Schlechtwetter vom Norden abhalten und sich von Süden das milde pannonische Klima breit macht und die Früchte bestens gedeihen läßt. Für Obstliebhaber ein wahres Paradies!

Durch ein Spalier von Apfelbäumen wandert man bei Anger in der Oststeiermark. Kein Wunder: Man ist hier schließlich im „Apfelland“.

Und nach dem tollen und reichhaltigen Frühstück im Hotel Angerer Hof , wo wir wunderbar geschlafen haben, gehen wir gestärkt auf unsere heutige Etappe. Knapp 16 Kilometer sind es nach Pöllau, mit etwas mehr als 500 Höhenmetern Auf- und Abstieg geht es im Vergleich zu unseren vorigen Etappen eher gemütlich zu, aber auf die leichte Schulter nehmen sollte man diese Etappe (zumal als unerfahrener Fernwanderer) dann dennoch nicht. Denn gerade, wenn die Sonne wie heute so herrlich scheint (und die Temperaturen entsprechend hoch sind) kann auch ein solches Teilstück durchaus herausfordernd sein. Wer sich vor der ersten Steigung noch drunten im Feistritztal erfrischen will, kann noch einen Hupfer ins kühle Nass machen: Das Freibad ist ein idealer Ort dafür. Dort beweisen die Angerer übrigens, daß sie durchaus eine Ader für gesunde Selbstironie haben: „Kein weiter Weg, kein langer – statt Mallorca Anger!“, lautet der Werbeslogan an der Mauer neben dem Eingang.

Eigenwerbung fürs Freibad voll Selbstironie in Anger – einfach klasse!

Der Aufstieg führt uns zunächst durch und entlang Vorortsiedlungen – und eine davon trägt den viel versprechenden Namen Märchenwald. Und bald sind wir dann tatsächlich in einem Schatten spendenden Forst, in dem sich Arco, unser treuer vierbeiniger Begleiter, erstmal die Pfoten kühlt.

Bei der Hitze ist ein kühler Waldbach hochwillkommen!

Leider zeigt sich gerade auf dieser Etappe die große Schwäche dieses ansonsten Fernwanderweges: die Markierung. Es ist zwar eine gute Idee und sehr anerkennenswert, keine neuen Wanderwege anzulegen (und dadurch noch weiter in die Natur einzugreifen), sondern auf das vorhandene Wegenetz zurückzugreifen (das in der Steiermark eh engmaschig ist) – aber den Hinweis auf diese Route dann nur quasi briefmarkengroß auf den vorhandenen Schildern anzubringen, ist alles andere als wandererfreundlich. Zumal die Aufkleber dann von Wind und Wetter oft zerfleddert oder ausgebleicht oder gar weggerissen sind. Zudem wechseln hier die Namen der Wege ständig und sieht man sich auch mit immer wieder wechselnden Zahlen konfrontiert. Daher mein dringender Rat: Nie ohne auf dem Handy gesicherte GPX-Daten losgehen! Diese Etappe ist nachgerade ein Musterbeispiel dafür.

Jede Menge Hinweise auf die verschiedensten Wanderwege…

… doch unseren Wanderweg muss man fast mit der Lupe suchen.

Relativ gut ist derweil noch die Beschilderung des Fernwanderwegs Auf den Spuren der Pilger und Wallfahrer. von Weiz über Vorau Richtung Mariazell. Der lotst uns an ein paar Gefahrenstellen vorbei. Freilich: Das Wallfahren scheint auch hier seine größte Blütezeit hinter sich gelassen zu haben – denn immer wieder ist der Weg total zugewachsen, und die Dornen von Brombeersträuchern zerkratzen einem die Wadeln und die Arme. Man kann auch sagen: Diese Pfade sind wirklich absolut naturnah… 😉

Nach etwa drei Kilometern haben wir uns dann doch zu einem markanten Punkt durchgeschlagen: Am Waldrand steht ein romantischer Bildstock aus dem Jahre 1722, der 2016 renoviert wurde: das Schott-Hansl-Kreuz.

Am Schott-Hansl-Kreuz gönnen wir uns eine Pause.

Die Bank dort lädt zur Rast ein, und in aller Gemütlichkeit genießen den herrlichen Blick auf die Waldlichtung und Streuobstwiese vor uns und die Höhen auf der anderen Seite des Feistritztales.

Ein herrlicher Blick auf die Höhen jenseits des Feistritztales.

Aber dann müssen wir ja doch weiter. Schließlich gilt es, noch einige Kilo- und Höhenmeter zu bewältigen. Doch schon bald wartet wieder etwas höchst interessantes auf uns: Alte Wagenspuren haben sich in den Fels gefressen – mit einer Spurbreite ähnlich der bei der Eisenbahn. Ganz wie bei uns auf der Via Claudia am Fernpass. Sollten sich die alten Römer auch hier herumgetrieben haben? Wohl schon, denn Dr. Marianne Grubinger schrieb schon 1952 in den Blättern für Heimatkunde des Historischen Vereins für die Steiermark dies: „Kurz zusammengefaßt ergibt sich, daß der Hang des Rabenwaldes hoch über dem streckenweise unbegehbaren Feistritztale zur Römerzeit (1. und 2. Jahrhundert n. Chr.) bewohnt war. und zwar von den heimischen Kelten, die sich mit den eingewanderten Römern verheirateten. Damit ist die Verbindung einerseits zu der Siedlung bei St. Johann ob Herberstein, anderseits zum Birkfelder Gschaid gegeben, von dem die Siedlungsreihe bis Pöllau verfolgt werden kann.“ Also exakt bis zu unserem heutigen Ziel. Mithin sind wir zumindest teilweise auf uralten Spuren unterwegs, und zuweilen scheint es, als hätten sich hier über Jahrhunderte sogar Fußabdrücke in die Felsen auf dem Boden eingegraben.

Alte (römische?) Wagenspuren haben sich in unseren Weg eingegraben.

Ein erhebendes Gefühl. Doch leider wartet nur ein paar Meter weiter das Chaos: Ein Haufen Baumstämme blockiert den Weg, und es mutet nicht so an, als lägen die erst seit gestern hier. Sie sind nur schwer zu umgehen, und so etwas ist eigentlich eines qualitätsvollen Fernwanderwegs unwürdig. Diese Anmerkung soll indes meinem Gesamteindruck keinen Abbruch tun. Das Schöne überwiegt bei weitem.

Mit Wanderkomfort hat das wenig zu tun: Ein riesiger Holzstapel versperrt uns den Weg.

Ohnehin zieht nun eine kleine Seilbahn meine Aufmerksamkeit auf sich. Nein, es ist keineswegs so, daß wir uns den Schweiß beim Aufstieg Richtung Fresenkogel auch hätten sparen können. Denn hier werden keine Menschen transportiert, sondern Talkstein – dieses sehr weiche Gestein wird hier (ebenso wie Leukophyllit)  im Tagebau abgebaut. Die meisten dürften es vom Turnen her kennen. Dort wird es eingesetzt, um einerseits einen festen Grip zu haben, aber andererseits auch gleitende Bewegungen machen zu können (zum Beispiel am Reck). Hier am Rabenwald gibt es eines der größten Vorkommen in Europa. Die Materialseilbahn bringt den gebrochenen Stein hinunter ins Tal nach Feistritz beim Anger.

Kurz unter dem Gipfel des Fresenkogels haben wir quasi die „erste Etage“ unserer heutigen Wanderung erreicht. Der steile Aufstieg endet, nun geht es gemütlich bergan. Und noch etwas steigert meine Begeisterung: Schon bald danach wartet mit dem Gasthof Holzerbauer eine tolle Möglichkeit zur Rast. Anja serviert uns ein herrlich angerichtetes gemischtes Eis. Das genießen wir auf der gemütlichen Veranda ebenso wie dem fantastischen Blick auf die Wiesenlandschaft mit Streuobstbäumen, auch die Frittatensuppe und der gespritzte Riesling (andernorts Rieslingschorle genannt) munden ganz hervorragend.

Anja – eine Ferienjobberin macht uns als sehr freundliche Bedienung…

… den Aufenthalt im Gasthof Holzerbauer Berggenuss sehr angenehm.

Nun wartet leider erstmal ein Asphaltsträßlein auf uns. Komfortwandern ist das zwar nicht unbedingt, aber auf der anderen Seite kommen wir auch flott voran – und werden zudem durch tolle Ausblicke belohnt, An der Jochbauer-Höhe erreichen wird dann den mit 875 Metern höchsten Punkt unserer heutigen Etappe, und je mehr sich der Weg nach unten senkt, umso idyllischer wird er auch.wieder. Und schon nach wenigen Metern sind wir im Naturpark Pöllauer Tal.

Ab hier sind wir im Naturpark Pöllauer Tal.

Beim Öllerbauer wartet mit einem alten Bildstock ein Zeugnis des Volksglaubens auf uns. Aber auch eine weitere „haarige“ Stelle: Denn auch hier ist die Markierung noch sehr schwer zu entdecken.

ACHTUNG: Auch hier bei diesem schönen alten Bildstock am Öllerbauer ist die Markierung nur schwer zu entdecken: Hier geht’s nach rechts über die Wiese!

Immer wieder haben wir Anlass, stehen zu bleiben und zu staunen. Und so vertrödeln wir uns und kommen später als erwartet in Pöllau an. Wir freuen uns, daß Christine Schwetz vom Tourismusverband Oststeiermark uns das nicht krumm, sondern mit ihren Erzählungen über die Schönheit der Region und des nur 124 Quadratkilometer großen Naturparks, der aufgrund der Streuobstwiesen unter Schutz gestellt wurde, gleich gefangen nimmt.

Eine tolle Botschafterin der Oststeiermark und des Pöllauer Tales: Christine Schwetz.

Der ganze Stolz der Menschen hier ist die Hirschbirne. Mit Zwölf (oder noch mehr)-Endern hat das freilich nichts zu tun. Vielmehr vermutlich mit der Verballhornung des Wortes „Herbst“. Denn diese Frucht ist erst spät reif und läßt sich nicht pflücken. Man muss sie vom Boden aufklauben. „Klauben macht selig“, sagen die Bauern daher hier augenzwinkernd. Und machen Most und Schnaps, Saft, Cidre und Gelee draus, dörren sie und veredeln gar Nudeln und Fleisch damit. Selbst einen Hirschbirn-Leberkäs gibt es hier. Bei alledem darf man aber auch den Rebensaft nicht vergessen: In Pöllau befinden wir uns im nördlichten Weinbaugebiet der Oststeiermark. Hauptsächlich Welschriesling, Weißburgunder und Muskateller gedeihen hier prächtig.

Für die Sehenswürdigkeiten Pöllaus haben wir indes heute keine Zeit mehr. Denn uns knurrt der Magen, und wir wollen schließlich auch noch etwas zu essen bekommen. Also checken wir nur kurz im Jufa-Hotel am Ortsrand ein (wo wir diese Nacht ganz hervorragend schlafen sollten) und begeben uns danach gleich schon in der Dämmerung zu einer wahren kulinarischen Kultstätte Pöllaus: dem Gasthof Hubmann.

Dieses von Grete und Karl Hubmann gemeinsam mit ihrem Sohn Karlheinz geführte Wirtshaus ist wegen einer Spezialität zur Legende geworden, von der ich bislang noch nie etwas gehört hatte: der Erdäpfelwurst. Meine Neugier steigt minütlich, die muss ich unbedingt probieren. Also, auf geht’s! Nicht, daß die Küche bereits geschlossen hat, bevor wir da eintrudeln…

Und wir schaffen es tatsächlich in letzter Minute. Karl Hubmann geht schnell in die Küche, um seine Grete zu informieren, dass doch noch zwei hungrige Wanderer eingetroffen sind. Und die studierte Juristin, die die Küche dem Gerichtssaal vorgezogen hat, damit der Familiengasthof nicht schließen mußte, zaubert ihre Spezialität noch kurz vor Torschluß eigens für uns auf den Teller – die Erdäpfelwurst mit Ofenbraterl und Sauerkraut ist ein Fest für die Sinne, und ich kann gar nicht aufhören, diese neue kulinarische Erfahrung zu rühmen. Christine verzichtet auf das Fleisch, ist aber nicht weniger begeistert.

Karl Hubmann serviert die Spezialität seines Hauses: Hausgemachte Erdäpfelwurst nach Omas Originalrezept.

Das sagen wir Grete Hubmann natürlich auch, als sie uns fragt, wie es gemundet hat.Und sie verrät uns auch einiges (wenn auch nicht alles) über diese außergewöhnliche Delikatesse. Das Originalrezept stammt von ihrer Schwiegermutter Resi, und seit den 1980er-Jahren hat sich nichts daran geändert: Geriebene rohe Kartoffeln werden mit Salz, Pfeffer und Knoblauch gewürzt, in einen Darm gefüllt, gebraten und dann mit Sauerkraut oder frischem Kraut gegessen. „Früher gab’s das immer bei den Bauern am Schlachttag, denn da hat man Schweinsdärme gehabt“, erzählt Grete. Dazu tischte man in alten Tagen „Grubenkraut“ auf – bei dieser Art der Konservierung wurde der ganze Krautkopf überbrüht und dann in Krautgruben übereinander geschichtet und vergraben. Mindestens vier Monate wurde es dort milchsauer vergoren und lieferte danach einer vielköpfigen Bauernfamilie über Monate hinweg wertvolle Nährstoffe. Auch Peter Rosegger, der berühmte steirische Autor, bekannte, dass die Erinnerung an dieses Schmankerl „imstande ist, mir in Zähnen und Gaumen begehrliche Gelüste zu wecken“.

Die Erinnerung an die Erdäpfelwurst der Hubmanns weckt auch nach Monaten in mir begehrliche Gelüste.

Verfeinerungen ihrer Erdäpfelwurst hat Grete Hubmann ebenso wie ihre Schwiegermama immer abgelehnt. Sie hält nichts von irgendwelchem Schnickschnack, um diesen Gaumenkitzel irgendwie auf modern zu trimmen. Diese Köstlichkeit wirkt aus sich selbst heraus, der unverfälschte, authentische Geschmack ist es, der einen begeistert: „Und wir stopfen die Würste auch immer noch wie einst mit dem Daumen. Eine Maschine brauchen und wollen wir nicht.“

Die Hubmanns sind Wirtsleute mit Leib und Seele, der Sohn unterscheidet sich da nicht von den Eltern. Und Grete Hubmann beschränkt sich dabei nicht aufs Kochen: Sie hat zum Beispiel alle Vorhänge im Lokal selbst gestickt, und zudem jedes Zimmer des Restaurants in einer anderen Farbe und einem anderen Muster gestaltet – so viel Liebe zum Detail weckt in uns tiefe Bewunderung.

Es gibt sie also doch noch: die echten urigen Dorfwirtshäuser mit Gastgeber voll ehrlicher Herzlichkeit. Der Gasthof Hubmann ist geradezu ein Idealtypus dafür.

Infos zur Etappe

ACHTUNG: Wer diese Fernwanderung gehen möchte, sollte sich vorhin unbedingt die GPX-Daten der jeweiligen Etappen herunterladen. Die Markierung zählt (vornehm ausgedrückt) nicht zu den allergrößten Stärken dieser wunderbaren Tour. Die Hinweise sind nur briefmarkengroß auf vorhandenen Wegweisern aufgeklebt und oft ausgebleicht, vom Regen unleserlich gemacht oder gar nicht vorhanden.

Die GPX-Daten zur Tour findet Ihr unter anderem hier.

Gegangen am 19. Juli 2024

Länge: 16 Kilometer
Höhenunterschied: 500 Meter auf, 550 Meter ab
Start: 9.05 Uhr / Ziel: 19.10 Uhr
(Anmerkung: Unsere Zeiten unterscheiden sich von den im Internet und auf den Wegweisern angegebenen reinen Gehzeiten. Sie sollen darstellen, wie lange etwas ältere Wanderer mit 13-Kilo-Rucksack, die auch gern einmal rasten und die Schönheiten am Wegesrand betrachten  oder sich mit anderen unterhalten, de facto – und nicht theoretisch – gebraucht haben).

Weitere: Informationen zur Region gibt es hier:

www.oststeiermark.com

www.steiermark.com

Und hier die bisherigen Folgen des Blogs über diesen Fernwanderweg:

Vom Gletscher zum Wein (3): Stoderhütte – Bad Mitterndorf

Vom Gletscher zum Wein (4): Ruhetag in Anger