Die Welt ist in Aufruhr. Erst Corona. Dann der Ukraine-Krieg. Ich scheine als Jahrgang 1952 aus meinem „goldenen Zeitalter“ herausgerissen: Keine derartige Katastrophe hat 68 Jahre lang meinen Lebensweg gesäumt. Ist es also eine Flucht, wenn ich jetzt mit Christine nach Spanien aufgebrochen bin, um unsere Tour auf der Via de la Plata, dem unbekanntesten der vielen Jakobswege, fortzusetzen? Oder nur ein Ultreia, ein Immer-Weiter-Gehen?

Das werde ich wohl erst in ein paar Wochen zu beantworten vermögen. Jetzt geht es erstmal los, und innerlich habe ich während unserer Anreise (die mit zehn Tagen fast doppelt so lang dauerte, wie ich eigentlich dachte) gewaltig mit den Hufen gescharrt, bis  endlich die erste Etappe in Angriff genommen werden kann.

Heute, am 7. März 2022, ist es also endlich so weit. Die Nacht zuvor haben wir am selben Ort übernachtet, an dem wir vor fünf Jahren aufgehört hatten – und im Hostal El Monte in Puebla de Sancho Perez sehr gut geschlafen. Und ich hatte Jose Mari, den Chef, gefragt, ob er uns einen Platz wisse, wo wir unseren hervorragenden Ford Transit Euroline für die drei Wochen unserer Pilgerschaft unterstellen könnten. Er antwortet mit seiner Lieblingsparole: „No problema!“ höre ich immer wieder von ihm.

Indes: Meine kühnsten Erwartungen übertrifft Jose Mari sogar noch: Er lotst uns mit seiner Lkw-Sattelzugmaschine zu einer leeren Fabrikhalle, wo unser Gefährt sicher vor Wind und Wetter aufgehoben ist. Was allerdings dazu führt, daß die ersten Kilometer unserer Pilgerschaft durch ein Industriegebiet führen.

„No problema“: Jose Mari, der Chef vom Hostal El Monte in Puebla di Sancho Perez war ein ganz toller Helfer.

„So ist das halt“, denke ich mir: Früher pilgerte man von Kirche zu Kirche, von Kloster zu Kloster, heute aber von Fabrikhalle zu Lagerhalle – und alles in der weltweit gleichen gesichtslosen Schuhschachtelarchitektur. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn schon nach einer guten halben Stunde sind wir an unserem heutigen Ziel: der Pilgerherberge (Albergue peregrinos) Vincent van Gogh in Zafra. Antonio, der Herbergsvater, ist die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft in Person und rettet sogar mit Tesafilm meinen damals vom Sturmregen doch arg zerfledderten Pilgerpass!

Der Inbegriff eines Herbergsvaters: Antonio Puente Mateo von der Albergue de peregrinos Vincent van Gogh in Zafra.

Nach dem Einchecken geht es sofort in die Stadt, denn Jose Mari hat uns von diversen Plätzen dort vorgeschwärmt. Zunächst aber setzen wir uns in den Park, wo die Warzenenten munter herum schwimmen und uns weißes Federvieh in aller Seelenruhe zeigt, woher das Wort „Gänsemarsch“ stammt.

Gänsemarsch im Park von Zafra.

Zafra ist ein 16 000-Städtchen im Süden der Extremadura und einem (wenn man mal die Ringstraße hinter sich gelassen hat) wirklich zauberhaften Zentrum. Nichts aufgesetzt, alles authentisch, und mich freut, daß in den Gassen sich noch nicht der in Deutschland und Österreich vorherrschende Fußgänger- und Begegnungszonen-Einheitsbrei mit immer denselben Plattenböden ausbreitet, sondern noch Kopfstein- oder Kieselpflaster ihren Platz behalten dürfen.

Einfach wohltuend: Noch echtes Pflaster statt der Einheits-Betonplatten in der Fußgängerzone.

Da können wir gar nicht anders, als uns auf der Plaza Grande in die Sonne zu setzen und in der Bar La Flaca bei Rotwein mit Zitrone (Christine) und dem lokalen Weißwein Verdejo (ich) unserer Kreativität zu frönen. Mit Blick auf einen von Palmen umstandenen Brunnen und Schatten spendenden Arkaden. Abseits des Trubels ein wirklich herrlicher Platz! Wir fühlen uns wohl – auch wegen Marianceles (20), der jugendlich-frisch-forschen Kellnerin, die uns voller Fröhlichkeit bedient und von Christine porträtiert wird.

Die Künstlerin und ihr Modell: Christine mit Marianceles (rechts) von der Bar La Flaca in Zafra.

Arkaden und Palmen: südländisches Flair auf der Plaza Grande von Zafra.

Die Zeit vergeht wie im Fluge, und nur schwer können wir uns aufraffen, um durch die idyllischen Gassen zurück zur Albergue zu gehen, wo ich noch ein wenig schreiben möchte. Plötzlich klappert es über mir: Ich Schaue zum Himmel – und da ist er tatsächlich! Der erste Storch, den wir auf dieser Tour sehen – und das ausgerechnet auf dem Turm des Hospitals de Santiago. Ein gutes Zeichen, finde ich.

Bei der Horstbau-Arbeit: der erste Storch während unserer diesjährigen Pilgerschaft.

Das Abendessen im Restaurant Rogelio des Hotels Carmen direkt neben unserer Herberge setzt dann das Tüpfelchen aufs I: Zunächst ein Coscido Extremadura, ein lokaler Eintopf mit Kirchererbsen, Blutwurst und Speckschwarte, danach für Christine ein Ratatouille mit Spiegelei und für mich ein superzartes Kalbsgulasch Gärtnerin Art mit Pommes. Und danach ein Flan, ein Pudding also.

Der Eintopf aus der Extremadura schmeckt im Restaurante Rogelio ebenso wie…

… das Kalbsgulasch Gärtnerin Art…

 

… und der Flan als Nachtisch.

Herz, was willst Du mehr?! Und so freuen wir uns schon auf morgen, wenn es dann so richtig losgeht.

Unsere Route für die nächsten Wochen auf der Via de la Plata.

erlebt am 7. März 2022

geschrieben am 7./8. März 2022

Informationen zu Zafra:

Buchtipp: https://www.amazon.de/Spanien-Jakobsweg-Plata-Mozarabischer-OutdoorHandbuch/dp/386686440X/ref=sr_1_1?crid=3TY0F90UFT5TB&keywords=Raimund+Joos+Via+de+la+Plata&qid=1650636123&s=books&sprefix=raimund+joos+via+de+la+plata%2Cstripbooks%2C80&sr=1-1

Ein anderer toller Blog ist von Werner Kräutler.

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Informationen zur Extremadura gibt es hier.