Spät sind wir losgekommen von Saintes Maries de la Mer. Die Camargue war einfach zu schön. Aber über die Pyrenäen haben wir es bei ziemlich miesem Wetter dann doch geschafft. Und in der Nähe von Girona am Rande eines Pinienhains die Nacht verbracht. Konkret: in Sant Gregori in der Comarca Gironés.
Als wir ankommen, bricht schon langsam das Dunkel herein, die Jugend des Dorfes, die wohl unisono davon träumt, dereinst mit dem FC Barcelona in der Champions League oder zumindest beim FC Girona in der 2. spanischen Liga zu reüssieren (am Abend zuvor gab es allerdings nur ein dürftiges 1:1 in Leganes) trainiert fleißig unter Flutlicht, Christine macht noch eine Runde Yoga – und ich mich ans Kochen.
Mein fantastisches Video über meine legendäre One-Pot-Pasta wird von Facebook indes blöderweise im Hoch- statt im Querformat ausgestrahlt. Ein Skandal. Da steckt mit Sicherheit Bill Gates dahinter, der verhindern will, daß ich die Charts der TV-Kochsendungen stürme und andere Formate hinter mir lasse, an denen er Aktien hält!
Wie dem auch sei: Wir schlafen ganz hervorragend, aber am nächsten Morgen ist es einfach zu kalt, um vor unserem hervorragenden Ford Transit Euroline zu frühstücken. Über Google Maps stoße ich mehr oder minder zufällig (ich wollte eigentlich gleich rechts statt links fahren, aber ein Gewirr an Einbahnstraßen hindert mich) auf die Bar Hostal del Forn.
Es ist 9.30 Uhr, und es herrscht gewaltiges Stimmengewirr in dem Lokal, das schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Hat es seine besten Zeiten schon hinter sich oder durchlebt es sie gerade jetzt? Auf jeden Fall tobt hier schon am Morgen pulsierendes Leben in der Bude, die mich an eine typische Arbeiterkneipe erinnert (zumindest stelle ich mir so eine vor).
Wir bekommen den aller letzten Tisch, der noch frei ist. Ich schaue zur Decke, wo an heißen Tagen nostalgische Ventilatoren kreisen, die mich spontan an Humphrey Bogart und Casablanca erinnern. Jetzt aber stehen sie still, denn der Frühling streckt erst sagen seine Fühler aus und hält sich temperaturtechnisch noch zurück.
Die Dame des Hauses (ich weiß nicht, ob sie die Chefin oder eine höchst engagierte Bedienung ist) empfängt uns mit großer Freundlichkeit, wir bestellen erst mal das für uns seit unserer ersten Pilgerschaft auf der via della Plata typische spanische Frühstück (Toast Brot mit Olivenöl – Aceite -, Tomate und Knoblauch), dann aber schweift mein Blick zwei Tische weiter, wo sich ein Einheimischer eine herrliche Wurst servieren lässt – was wiederum bei mir das Wasser im Munde zusammen rechnen lässt. Sowas habe ich schon lange nicht mehr gegessen, das muss jetzt einfach sein, und ich schaffe es tatsächlich, mir eine Botifarra, eine „typisch katalanische Spezialität“, die mir die Wirtin (nennen wir sie jetzt einfach mal so) voller Stolz auftischt. Und mit ebensolchen stolz weil sie uns immer wieder auf die Unterschiede in der spanischen und kataloniensprachlichen und nennt uns beide Versionen, während wir miteinander radebrechen. Schon auf der Anreise sind mir die vielen Fahnen vor den Häusern aufgefallen, die mich an Kuba erinnern, aber natürlich die Farben Kataloniens tragen.
Wie dem auch sei: die Buti-(oder Boti)Farra ganz prima, auch wenn mich Jörg Fritz, mein alter Kumpel aus Nürtingen, später auf Facebook fragt, ich die überhaupt ohne Senf runter bekommen haben kann. Mir macht das aber gar nichts aus, denn schließlich bin ich ja bekennender Bratwurst-Fan in allen Variationen, und das ist nun mal die katalanische. Wobei sie in der Gegend von Girona, wo wir ja jetzt sind, oft auch mit Honig gesüßt werden. Viele Katalanen sind aber auch Anhänger der gebrühten Variante.
Es ist noch nicht 10, und auf mindestens jeden zweiten Tisch stehen schon eine Rotwein-Karaffe, denen fleißig zugesprochen wird. Christine fällt indes als messerscharfe Beobachterin auf, daß das nur an reinen Männertischen der Fall ist. Wo immer eine Frau dabei sitzt, üben sich die Senhores in Entsagung. Eso es vida! So ist das Leben halt!
Ich muss schmunzeln, bewundere aber gleichzeitig auch die Lebensfreude dieser Menschen, die es sich einfach gut gehen lassen, ganz egal, ob man das jetzt gut oder den Konventionen entsprechend eher nicht. Gerne hätte ich noch einen Schluck mitgetrunken, aber wir müssen ja noch ein paar Hundert Kilometer fahren. Die Wirtin winkt uns fröhlich zum Abschied zu, wir hören ein vielstimmiges „Hasta luego!“, dann müssen wir weiter.
Und lesen auf der Weiterfahrt gehen Süden, dass die Spanier die höchste Lebenserwartung Europas haben. Vielleicht ja, weil sie schon morgens um 9:30 Uhr ohne schlechtes Gewissen Rotwein trinken. Auf jeden Fall aber, weil sie sich des Lebens freuen.
Erlebt am Mittwoch, 2. März 2022
Geschrieben am Montag, 7. März 2022