Seit Palmsonntag sind wir nun in der zweiten Quarantäne – diesmal in meinem Büro am Zeillerplatz in Reutte. Unsere Zeit auf Sizilien ist leider vorbei. Aber sie lebt in vielen schönen Erinnerungen weiter. Von ihnen will ich ab jetzt erzählen.
Bisher habe ich alle Blogs von dort ja mit der Überschrift „Corona-Gedanken“ versehen. Das soll ab heute wegfallen. Denn Sizilien ist (wie ganz Italien) ja viel, viel mehr als Corona. Und es ist stärker als Corona.
Also, zurück nach Balarm (so der alte Name aus der Sarazenenzeit): Zur letzten Sehenswürdigkeit, die wir in Palermo besucht haben.
Ich weiß auch nicht, warum ich unbedingt zur Chiesa Santa Maria dello Spasimo wollte. Egal warum: Gottseidank bin ich da noch hin.
Die Heilige Maria an der Via Spasimo war nicht leicht zu finden. Erst stellte sich in der Via della Vetreria (Straße des Glasgeschirrs), einer der recht engen Gassen in der Kalsa, diesem Viertel Richtung Meer, ein alles andere als freundlicher Hund in den Weg, sodaß wir lieber einen Umweg über die Piazza Magione nahmen.
Und hätte nicht die Dame von Google Maps so hartnäckig „Sie haben Ihr Ziel erreicht – das Ziel befindet sich rechts!“ gesagt, wäre ich wohl an dem Tor vorbeigelaufen, vor dem ein großes Plakat für eine Internationale Jazz-Akademie der Fondazione The Brass Group wirbt.
Nun aber kommen wir zuerst in den Hof eines mittelalterlichen Krankenhauses und dann in die einstige Klosterkirche, stehen im Chor – und haben den Blick auf einem mächtigen Innenraum, den auch die Klosterbrüder gehabt hätte, wäre diese Kirche denn jemals fertig geworden.
Vor 500 Jahren hat man damit begonnen – und bis heute hat das Gotteshaus kein Dach. Statt dessen einen gewaltigen Baum in der nordwestlichen Ecke.
Wir gehen dem Schiff entlang, kommen in einen verwilderten Garten, umrunden den Bau, sehen eine (Pfingst?)Taube an der Giebelspitze sitzen, genießen die Idylle in dem ebenfalls urtümlichen Garten auf der Südseite, kosten die Ruhe und Distanz zur in Vor-Corona-Zeiten noch hektischen Stadt so richtig aus.
Auch wenn die Klosterzeiten längst vorbei sind – die Atmosphäre prägt diesen Ort nach wie vor. Man erlebt Abgeschiedenheit inmitten des Trubels einer Metropole. Und das ist etwas völlig anderes als Einsamkeit. Wenn der Blick auf die Kirche ohne Dach fällt, dann kommt man fast automatisch zur Ruhe.
Nichts lenkt einen mehr ab, man kommt ganz zu sich, in seine Mitte. Für mich ist dieser Platz an der Bastione dello Spasimo, der von der Welt vergessen zu sein scheint, ein hochspiritueller Ort. Inmitten der Großstadt fühle ich mich dem Schöpfer nah. Ich könnte noch stundenlang hier sitzen, würden die Türen nicht um 18 Uhr zugemacht.
Jemand hat zwei Mandarinen vom benachbarten Bäumchen auf die Brüstung der alten Bastion gelegt. Mir kommt es wie ein Stillleben vor.
Ich schaue hinüber zu Santa Maria und frage mich: Muss eine Kirche denn unbedingt ein Dach haben. Sind wir nicht Gott vielleicht ohne Dach viel näher? Kann sein Geist denn dort nicht viel besser wehen, wo er will?
Nun will ich natürlich nicht allen Kirchen das Dach wegreißen. Aber wir könnten und sollten vielleicht doch öfter mal hinaus ins Unfertige, heraus aus dem Perfekten, hinein ins Unvollendete, wo einen der Hauch Gottes vielleicht viel ungestörter und direkter umhüllen kann.
Denn die Kirche ohne Dach ist auch eine Botschaft an uns: Wir sind nie fertig. Egal, wie alt wir sind. Und müssen es auch nicht sein. Denn uns steht der Himmel offen, mitten im Hier und Jetzt. Auch wenn wir uns schutzlos fühlen, ist Gott bei uns. Bei Wolken, Regen und Sonnenschein.
Auch davon hat mir Santa Maria dello Spasimo erzählt.