Manchmal wird man auch zu einer Pause gezwungen. Das widerfuhr uns auf der zehnten Etappe unserer Via Transalpina 2019.
Was wir am Abend (beziehungsweise in der Nacht) zuvor geleistet haben, das können wir erst so richtig einschätzen, als wir am nächsten Morgen bergab steigen. Es waren schon ein paar haarige Stellen dabei, die wir im Mondschein gemeistert haben, denn der Weg ist alles andere als eben, auch am frühen Morgen brauchen wir noch ab und zu die Hände.
Das fällt uns auf, weil wir die erste Strecke wieder auf dem selben Weg hinunter wie in der Nacht zuvor hinauf müssen. Nach einer halben Stunde verabschieden wir uns allerdings nach links von unserem Abenteuer-Weg. Wir müssen hinunter ins Tal der Resia und sollen dann wieder hinauf zu einem Ricovero Casera Canin.
Ehrlich gesagt: nach den gestrigen Erlebnis and habe ich null Bock auf eine weitere Gewalt-Tour. Wenn wir uns aber schon von 578 Metern wieder nach oben schrauben sollen, dann tut es auch das Agriturismo auf der Malga Coot auf nur 1183 Meter. 600 Höhenmeter sind uns dann doch lieber als 900.
Als wir absteigen, spüren wir, dass die kurze Nacht und die Anstrengung der Etappe zuvor doch mehr Kraft gekostet haben, als ich mir das eingestehen wollte. Deswegen erliegen wir schon an der ersten verlassenen Alm der Versuchung, uns erst mal hinzulegen. Uns fallen die Augen zu, doch wir werden dann doch immer wieder von Stechmücken und beißenden Ameisen wachgerüttelt. Also doch weiter!
Später bemerken wir, dass wir offensichtlich auf einem Info-Pfad zum Ersten Weltkrieg wandern. Auch hier hat also vor 100 Jahren diese Bestie gewütet!
Unten im Tal werden wir in Ladina, einem kleinen Dorf, sehr freundlich begrüßt und zur Bar nach Stolvizza weitergeleitet. Al Arrivo heißt sie ebenfalls, aber sie macht einen viel besseren Eindruck als ihr Namensvetter drunten in Resiutta.
Wir brauchen dringend eine Pause in diesem Dorf, in dem noch viele Einwohner mit slawischen Wurzeln leben. Schon früher war es hart hier: Es gibt ein scheren schleifen Museum und ein Scherenschleiferdenkmal, das an das karge Leben der Vergangenheit dort erinnert.
Wir essen etwas (Christine einen Salat, ich Aufschnitt aus Salami und Schinken), und Severino, bei dem sich nachher herausstellt, dass er fünf Jahre in der Eisdiele Pra in Kirchheim an der Teck gearbeitet hat („So klein ist die Welt“, sagt er später zu mir Ex Nürtinger), ist so nett, für uns auf der Malga Coot anzurufen, um Zimmer oder Betten zu reservieren.
„Reine Formsache“, denken wir: „Schließlich sind wir hier am Ende der Welt!“ Typischer Fall von Denkste! „Alles voll“, sagt uns Severino. Heute Nacht sei „Luna Rossa“. Ich denke mir: Vollmond. Aber in Wahrheit handelt es sich wohl um eine Jahrhundert-Mondfinsternis. Da wir zumeist im Funkloch herumtappen, kriegen wir davon gar nichts mit. Dann müssen wir halt bis 2123 warten…
Severino versucht noch, etwas für uns im Dorf aufzutreiben – ebenfalls vergebens. Drunten im Tal hat er jedoch Erfolg. Und fährt uns sogar mit seinem Auto zu Giuseppina (oder Josephine, wie sie selbst sagt) nach San Giorgio. Ihre Appartements nennt sie „Alle Erbe„, „zu den Kräutern“ also. Und das mit Fug und Recht: Alle Zimmer sind liebevoll eingerichtet. Unseres ist dem Frauenmantel gewidmet. Ein Exemplar liegt getrocknet auf einem aufgeschlagenen Kräuterbuch.
Josephine, die als Kind mit ihrem Vater (der in den 50ern in Frankreich an der belgischen Grenze Arbeit gefunden hatte) aus Friaul ausgewandert war, in Frankreich studiert und beim französischen Transportministerium gearbeitet hat, dann aber wieder in ihre Heimat zurück kehrte, weil sie „schon als Kind Heimweh wie Heidi hatte (Ich sehnte mich so nach den Bergen und dem Wasser)“ ist eine absolute Kräuter-Expertin: „Das have ich von Mama gelernt“, erzählt sie. Und wie!
Der Garten ist ein Paradies. Das merken wir auch beim Abendessen, dass sie uns serviert, weil die Osteria alla Speranza im Ort nur mittags, aber nicht abends kocht.
Minestrone mit all dem, was der Garten hergibt, dann gegrilltes Gemüse – und all das natürlich mit dem herrlich roten Knoblauch aus dem Resia-Tal, von dem uns schon Severino hat kosten lassen und der laut Josephine besonders bekömmlich ist und nicht im Magen brennt.
Auch auf den sind die Menschen im Resia-Tal besonders stolz.
Übrigens: 1500 leben noch dort. Vor dem großen Erdbeben von 1976 waren es 5000.
Gewandert am 27. Juli 2018
Geschrieben am 28. Juli 2018
Reine Gehzeit: 2 Stunden
Länge: 6 Kilometer
Höhenunterschiede: 10 Meter bergauf / 1090 Meter bergab
Komoot-Link zur Tour: www.komoot.de/tour/40611558
Informationen zur Region: http://www.turismofvg.it