Mondscheinwandern (wenn auch unfreiwillig) war uns auf dieser Etappe beschieden. Also: Im Gegensatz zu uns früh losgehen und nicht trödeln!Im Massenlager des Rifugio Grauzaria haben wir wieder alleine und ausgezeichnet geschlafen. Beim Frühstück unterhalten wir uns noch sehr nett mit dem aus Treviso stammenden Wirt. Er ist erst seit kurzem hier. Zuvor war er auf einer Hütte in den Trentiner Dolomiten bei Cortina – ganz in der Nähe des Rifugio Citta di Fiume, wo wir gegen Ende der Via Pensionista 2017 auch übernachtet haben und mich dr ebenfalls der nette Wirt auf die Via Transalpina-App aufmerksam gemacht hat. Genau da hatten wir uns ja entschlossen, unseren Weg über den Alpenbogen genau so zu beenden.

Und der Wirt hier am Ende der Karnischen Alpen bestätigt uns unseren Eindruck von diesem Teilstück der Via Transalpina: Es sind einfach zu viele Leute dort im Hotspot des Trentino! „Fünf total verrückte Jahre“, sagt er. Nun hat er die Ausschreibung um das Rifugio Grauzaria gewonnen und genießt mit seiner Frau die Ruhe in Friaul. Unter der Woche kommen gerade mal  zwei, drei Leute pro Tag vorbei, erzählt er. Ohne Klage. Eher voller Freude.

Voller Freude treten wir dann auf unseren Weiterweg an – hinauf zur Scharte an der früheren Alm Foran de la Gjaline kommt es mir sogar schneller vor als am Abend zuvor bergab. Jetzt spüre ich Meister Fersensporn plötzlich nicht mehr, jetzt ist es nur noch ein Klacks bis hinauf zur Nuviernulis-Scharte, wo mich sogar eine Gams beobachtet, die Arco (unser Hund) gar nicht bemerkt. Grund genug also für einen weiteren Gipfelglück-Jodler auf 1749 Metern.

Zumal wir hier in einem Meer von Edelweißen eintauchen wie seit Beginn unserer großen Alpen-Durchquerung vor rund zehn Jahren nicht mehr. Es ist fast unmöglich, nicht auf diese symbolträchtige Pflanze zu treten, die doch angeblich nur m Grunde unerreichbar auf steiler Höh‘ zu finden ist. Und ich denke mir – vielleicht haben in alter Zeit die Burschen diesen Mythos der Lebensgefahr nur erschaffen, um den Mädels besser zu imponieren: Schau her, das hab ich für dich getan!!!

Ein Edelweiß-Paradies an der Nuviernulis-Scharte.

„Das hab ich am Wegesrand für Dich gefunden“, klingt ja irgendwie ein bißle schlechter.

Edelweiß-Glück in Friaul…

Mit Schilderungen von Wandertouren ist es ja ohnehin so eine Sache. In der Via Transalpina-App heißt es zum Beispiel über das Tal des Glagno-Baches, durch das wir jetzt gehen, es sei „unwirtlich“. Aber ich denke mir: Was bedeutet das eigentlich?

Sicher, es gibt leider keinen Wirt hier, der uns ein erfrischendes Eis, eine stärkende Pizza oder einen köstlichen friulanischen Wein offeriert, was jetzt war ich nicht schlecht wäre…

Aber im Kern der Sache ist es einfach wunderschön hier! Bis zu den ersten Spuren der Zivilisation (einem verlassenen Dorf) begegnen uns gerade mal ein Mann und eine Frau. Das Gras wächst hier so hoch in den Weg hinein, dass Old Shatterhand auch ohne Winnetous Hilfe hätte erkennen können, das hier schon Tage lang kein Mensch mehr durchgekommen ist…

Schmetterlingsfreuden am Glagno-Bach…

Und hier, mitten in der Friulaner Einsamkeit, begegnet man sogar mein Lieblingsmärchen: der Froschkönig. Manche mögen zwar behaupten, es handle sich um eine schnöde Kröte, die da vor uns über den schmalen Pfad hoppelt – für mich aber ist es angesichts der majestätischen Größe (wieder so ein Ausdruck!) und den wachen Augen aber ganz eindeutig ein Prinz! Der nur noch wach geküsst werden muss!

Wir aber sehen uns danach, dass der Glagno-Bach, dem wir nun schon seit Stunden folgen, endlich seinen Namen auch Ehre macht. Immer, wenn wir an eine Furt kommen, ist er verschwunden! Aber dann gibt er uns doch die Ehre – und wir nutzen die Chance, hinein zu steigen und uns zu erfrischen. Gleich darauf wartet eine sportliche Herausforderung auf uns: Die Brücke über den Torrente hat nämlich den Geist aufgegeben nur ein paar kümmerliche Zementreste erinnern an sie. Ersetzt wurde sie durch ein Seil, an dem man sich dem Fels entlang hinauf hochangeln kann. Es soll nicht das letzte sein auf dieser Etappe…

Manchmal muß man sich durchhangeln…

Unweigerlich kommt in dieser wilden Einsamkeit mir eine TV-Serie aus meiner Kindheit  in den Sinn. Die hieß „Die Steinzeit-Kinder“ oder so ähnlich, wurde in Jugoslawien (also ganz in der Nähe) gedreht oder war gar jugoslawisch und handelt auf jeden Fall davon, dass Kinder vor den Schrecken des Zweiten Welt Krieges in eine Gebirgsschlucht flüchten und sich dort durchschlagen mussten.

Damals war mir das zu pädagogisch-langweilig. aber dennoch muss sich die Serie wohl in mein Gehirn eingebrannt haben.“Das könnte hier gespielt haben“, denke ich mir…

Begegnung mit der Steinzeit

Das Höhenprofil in der App hatte ihn mir die Vorstellung geweckt, es gehen nach der Scharte immer bergab und dann noch kurz relativ sanft bergauf und wieder runter – mit so viel Kilo- und Höhenmetern in den Beinen fühlt sich das subjektiv allerdings ganz anders an. Wieder kämpfe ich mich eher bergan, als dass ich gehe – zunächst nach Mogessa di La, dann nach Mogessa di Qua, wo an einem Schwarzen Brett ein Zeitungsartikel angeschlagen ist: „Hier leben nur noch Silvio und die Bergkatzen!“

Wir überlegen, ob wir Silvio um ein Notquartier in diesem Geisterdorf, dass an Wild West-Film erinnert, bitten sollen. Aber er ist ebenso wenig zu finden wir die Katzen. Nur ein paar Schälchen mit Futter für See stehen herum…

Am Ortsende stoße ich auf einen Stein mit der Inschrift „Der Engel weiß die Stunde Deines Todes“. „Naja“, denke ich mir: „So genau möchte ich es dann doch wieder nicht wissen.“

Mir wäre schon damit gedient, zu wissen, ob wir heute Nacht überhaupt ein Quartier haben. Aber erst auf der letzten Passhöhe bekommen wir ein Telefonnetz, und Gottseidank hat der Leon Bianco (weißer Löwe) in Moggio di Sotto noch ein Zimmer für uns frei. Vielleicht hat ja die Madonna in der Kapelle auf der Passhöhe geholfen.

In der Dunkelheit tappen wir bergab, im Mondschein kommen wir unten im Dorf an und müssen noch ans entgegengesetzte Ende laufen.

„So was erlebt man nicht alle Tage“, sagt Christine angesichts der romantischen Stimmung.

Ich freilich war nicht  unbedingt auf „so was“ erpicht.

 

Gegangen am 24. Juli 2018

Geschrieben am 28. Juli 2018

Länge: 18 Kilometer

Reine Gehzeit: etwa acht Stunden

Höhenunterschied: knapp 900 Meter bergauf / rund 1750 Meter bergab

Komoot-Link zur Tour: https://www.komoot.de/tour/39981414

Informationen zum Quartier: http://www.unpostoatavola.it/moggio%20udinese/ristorante-albergo-bar-leon-bianco.html

Informationen zur Region: http://www.turismofvg.it