Das Schöne am Urlaub sind ja oft die Erinnerungen. Wie zum Beispiel die an unseren Herbstausflug zum Neusiedler See.
Wein und Philosophie – das passt einfach zusammen. Auch wenn die Weisheit manchmal manchmal zusammengedrängt, ja zusammengezwängt wirkt, wenn man sie zwischen die Seiten einer Speisekarte presst.
Beim Großmata, einem gemütlichen Heurigen in Podersdorf, klingt das dann zum Beispiel so:
„Wer Wein trinkt, trinkt der Erde Blut,
den Tau des Himmels und der Sonne Glut.
Im Saft der Reben
fließt geheimnisvoll das Leben!“
„Der Erde Blut“ – ist das Blut-und-Boden-Dichtungg? Es klingt im ersten Moment so. Aber gottlob sind ja auch der Tau des Himmels und der Sonne Glut mit dabei.
Der Sonne Glut haben wir heute indes kaum gespürt – aber dafür umso fantastischer gesehen: beim Sonnenuntergang am Südufer des am Neusiedler Sees. Glutrot? (oder blutrot?) versank sie hinter den Bergen Ungarns? Oder noch der Steiermark, also Österreichs? Oder schon Sloweniens?
So genau kenn ich mich hier nicht aus. Aber gerade deswegen erzählt dieser Sonnenuntergang auch etwas vom Untergang der K. und K. Monarchie. Noch vor 100 Jahren war hier alles eins, hätte ich mir diese Frage gar nicht gestellt.
Und ich bin wieder einmal froh, daß es die EU gibt, die diese unsinnige Frage (immer mehr) in den Hintergrund gedrängt hat. Nicht alles ist eins, aber wir sind eins. Und ich hoffe, wir bleiben es.
Willkürlich wurden diese Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg gezogen. Mal gab es eine Volksabstimmung (wenn es unter den Verlierern etwas zu klären gab), mal nicht (wenn ein Sieger mit im Spiel war).
Doch genug der düsteren Gedanken: Die Wirtin serviert unsere Jause. Für mich nicht gerade dein Gesundheit-Menu. Aber herrlich: Endlich wieder mal ein Schmalzbrot. Mit Zwiebeln. Dazu scharfe Peperoni. Und ein Kren, der mir das Feuer aus dem Augen haut. Aber einfach ein Hochgenuss ist.
Die Wirtsstube würde zwar nicht unbedingt ein Designer-Hotel bereichern. Die Bänke sind hart, die Tische groß.
Der Aperitif (Frizzante/für Christine rosé, für mich weiß) schmeckte schon prima.
Jetzt sitze ich vor einem Grünen Veltliner. Trocken. Sehr trocken. Vielleicht der trockenste, den ich in den vergangenen Jahren getrunken habe.
Riesige Gemälde zieren die Wände. Pannonische Landschaft, topfeben, mit ungarischen Ziehbrunnen – wieder die Verbindung zur Vergangenheit. Zur Zeit, in der hier eigentlich Ungarn war.
Toni Strickers Musik kommt mir in den Sinn. Die kannte und kennt auch keine Grenzen. Wie der Wind, der den See entlang bläst und nirgendwo Halt macht. Wie der Wein, dem es auch Wurst ist, zu welchem Staat der Boden gehört, auf dem er so trefflich gedeiht.
Mein Blick fällt auf das Bild über unserem Riesen-Tisch: das Gemälde einer (oder eines) S. Hnatejko dürfte zwar nicht in die Kunstgeschichte eingehen – aber dennoch erzählt es viel: von der Arbeit des Menschen (hier der Weinbau), von den kargen Trockenwiesen, die hier in Gelb erstrahlen, von den magyarischen Traditionen (hier in Gestalt von Strohhütte und – wieder – Ziehbrunnen), von dem See, der sich zuweilen so stark zurückzieht, dass man ihn nur noch erahnen kann, von den Vögeln, die wir heute schon in Gestalt von Wildgänsen zu Hunderten haben bewundern können und für die Grenzen auch nicht existieren, wenn sie in ihrer beeindruckenden V-Formation davonrauschen.
Der Himmel auf dem Bild ist offen – so wie die Zukunft offen ist.
Und jetzt richtet sich mein Blick auf die Rückseite der Großmama-Speisekarte. Dort steht:
„Es ist im Weine wie im Leben –
auf die Erfüllung kommt es an.
Doch diese wird nur dem gegeben,
der auch die Seele finden kann.“
Notiert am 26. Oktober 2018
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