Der erste Rentnertag startet wieder mit strahlender Sonne. Ein gutes Omen. Arco wird nochmal verarztet, Silvia und Luca geben uns noch Natriumchlorid und ein anderes Mittel mit, um seine Wunde zu versorgen, die er sich bei dem Geraufe am Abend zuvor zugezogen hat. Sieht doch übler aus als zunächst gedacht, aber er ist sehr tapfer.
Und so kommen wir erstaunlich lechtfüßig den ersten Anstieg von knapp 200 Metern zum Monte Azzaredo (2112 Meter) hoch. Der ist gar nicht so wild, wie er von unten aussieht.
Eher der Abstieg hinunter zur kleinen Hochebene von Cavizolla hinunter. Das Gestein in den Orobie (wie die Italiener zu den Bergamasker Alpen sagen) ist sehr brüchig, und der Weg geht fast senkrecht bergab. Man muss höllisch aufpassen. Aber drunten auf der Wiese sehe ich das erste größere Tier-Rudel: Ich tippe zuerst auf Hirschkühe, aber das kann nicht sein. Also: vermutlich Gamsweible.
Im nahen Mini-See, dem Christine wegen der Hitze nicht widerstehen kann, wimmelt es nur so vor Kaulquappen: Unglaublich lebhaft geht es hier zu, aber ich frage mich, wann daraus denn noch Fröschle werden sollen. Denn schließlich haben wir ja schon August.
Wir kommen glänzend voran, genießen das Panorama auf dem Weg zur Forcella Rossa (dem nächsten Pass), packen auch den zunächst steilen Abstieg und machen dann in der Nähe der Baitone-Alm am Rande des Skigebiets von San Simone Jause, und Christine schießt ein Super-Bild von zwei „wilden Hunden“ – Arco und mir.
Wir sind richtig gut drauf, helfen auf der Fontanini-Alm dem Älpler, einen Zahnarzttermin zu bekommen (er verfügt über kein Handy), passieren ein junges Kälble, das kraftlos in der Wiese liegt, ohne daß die Mama in der Nähe ist, und um das wir uns Sorgen machen. Ich gehe zurück zur Alm, doch der Hirt beruhigt mich: „Es hat nur zuviel getrunken und ist eingeschlafen.“
Vor dem Tartano-Pass sind wir uns unsicher: Die Wegweiser sind eine Katastrophe, unser Ziel, das Rifugio Dordona, steht gar nicht drauf, wir rätseln und rätseln und rätseln, und als wir uns entschieden haben, trifft uns oben der Schlag: Nicht nur, dass auf der Kompass-Karte ein Unfug eingezeichnet ist und wir wieder zurück müssen, es geht auch nicht wie von uns gedacht, ab jetzt nur noch runter. Es wartet nach dem Abstieg zu den herrlichen Porcile-Seen (in einem holt sich Christine neue Kraft) noch ein knackiger Anstieg auf uns.
Mir gehen auf dem Weg hinauf zum Passo degli Lupi (Pass der Wölfe) mehr und mehr die Kräfte aus, ich muß mich hinsetzen und einen Sturztrunk an Wasser in mich schütten,mein Schritt wird schwerer und schwerer, ich zähle innerlich immer wieder ab 21 aufwärts, will pro Sekunde nur einen Schritt machen. Mir stinkt es jetzt (ehrlich gesagt) gewaltig, ich will nur noch zur Hütte. Warum tu ich mir das eigentlich an?
Aber auch nach dem Pass wird es nicht besser. Die 250 Meter Abstieg hinunter zum Rifugio Dordona sind eine einzige Tortur, auch wenn sie ein Traum sein können, wenn sich die Tausenden verblühten Küchenschellen, durch die wir jetzt gehen, in ihrer vollen Pracht zeigen. Die Fantasie ist zwar da. Aber mir reicht es jetzt einfach.
Mit brennenden Füßen und wackligen Knien laufe ich im Rifugio ein.
Gegangen am 1. August 2017
Geschrieben am 9. August 2017
Start: 8.30 Uhr
Ziel: 20.30 Uhr
Höhenunterschied: 1200 Meter Auf- und Abstieg
Übernachtung: Rifugio Dordona; privat; ordentliche Betten