Der Startschuss wird bald fallen: Am 18. Januar wird Chemnitz offiziell zu Europas Kulturhauptstadt 2025 ausgerufen. Und mein Eindruck von der internationalen Pressereise, an der ich im Herbst teilnehmen durfte, ist: Hier kann eine große Chance zur Selbstvergewisserung und neuem Selbstbewußtsein für eine Stadt genutzt werden, die zum einen von Narben ihrer Vergangenheit gezeichnet ist, zum anderen aber auch auf eine reiche Vergangenheit zurückzublicken vermag. Vielleicht ist der Titel der Kulturhauptstadt Europas ja auch ein Wegweiser in die Zukunft.

Manche mag es erstaunt haben, dass sich Chemnitz in der nationalen Vorauswahl zur Kulturhauptstadt knapp gegen Nürnberg durchgesetzt hatte, manche runzelten sogar die Stirn. Aber nachdem ich einige Tage selbst in der Region war, kann ich nur sagen: Das war mutig – aber zugleich auch goldrichtig.

C the unseen“ lautet das (in manchen Ohren etwas sperrig klingende und auf das Autokennzeichen anspielende) Motto dieses Kulturhaupstadtjahres. Aber auch das ist irgendwie passend. Denn dank des vielfältigen bunten Programmes kann und wird man Chemnitz mit ganz anderen Augen sehen. Jenseits der Vorurteile. Wie sagte doch Oberbürgermeister Sven Schulze bei der Präsentation des Programms im Oktober so treffend: „Wir wollen zeigen, wofür unsere Stadt steht und welche Chancen sie bietet. Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“ Das Kulturhauptstadtjahr bringe Menschen nach Chemnitz, die dies zuvor vielleicht nie vorgehabt hätten – und die könnten sich dadurch ein eigenes authentisches Bild machen. Ganz nah. Und zugleich fern aller Stereotype.

Und auch für Sachsens Kultusministerin Barbara Klepsch besitzt dieses Jahr „großes Potential, Chemnitz und seine Region mit allem, was sie ausmacht, sichtbar zu machen“: mit seiner Kunst, seiner Natur, dem grenzüberschreitenden UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří, seiner Historie, seinen Zukunftsvisionen und natürlich nicht seinen Menschen. Kurzum: „Wir wollen zeigen, warum wir auf unsere Region und unsere Heimat so stolz sein können.“

Und das spiegelte sich auch in der regelrecht unter die Haut gehenden Performance wider, in der Chemnitzer jeglichen Alters und vielfältigster Herkunft in einer beeindruckenden Choreografie auf die so facettenreiche Vergangenheit ihrer Stadt blickten, aber auch ihre Zukunftsträume artikulierten. Das tolle Finale: Chemnitz tanzt – und diese lockere, heitere, beschwingte Stimmung soll das ganze Jahr über herrschen – und möglichst auch darüber hinaus!

Chemnitz tanzt: Das kann man im offiziellen kulturhauptstadtprogramm übrigens oftmals wörtlich nehmen: Die Sächsische Mozartgesellschaft ist zum Beispiel mit „Bewegenden Klängen“ mit von der Partie. Und die kommen dabei nicht zuletzt aus der Konzertina, die der Chemnitzer Klarinettisten Carl Friedrich Uhlig 1834 erfunden hatte. Dieses Instrument gilt als Vorläufer des Bandoneons, das für den argentinischen Tango unverzichtbar ist. Daher gibt es vom 27. Mai bis 1. Juni auch ein Festival Tango Argentino mit vielen Konzerten, aber auch einer getanzten Stadtführung oder einem Tango-Gottesdienst.

Im Industriemuseum Chemnitz werden wiederum vom 25. April bis 16. November „Tales of Transformation“ erzählt. Und diese Geschichten handeln von „Aufstieg, Fall und Neuerfindung europäischer Industriezentren“. Denn der Wechsel von Aufschwung, Blüte und Niedergang machte nicht nur Sachsens Industriemetropole Chemnitz zu schaffen – dieses Schicksal teilt die Stadt mit „Geschwistern“ wie Lodz in Polen, Gabrowo in Bulgarien, Mulhouse (Mühlhausen) im Elsass und natürlich Manchester in England. Am Ende des faszinierenden Rundgangs können dann die Besucher ihr eigenes Zukunftsbild gestalten.

Sie gilt als Sinnbild der Industriealisierung: die Dampfmaschine. Sie steht gleich am Eingamng des Chemnitzer Industriemuseums. Museumsleiter Jürgen Kabus erklärt sie hier.

Doch lange vor dem prägte ein anderer Wirtschaftszweig die Region und sorgte Jahrhunderte lang für Wohlstand: der Bergbau. Von ihm erzählt noch bis 29. Juni die faszinierende Ausstellung „Silberglanz und Kumpeltod“ im Staatlichen Museum für Archäologie zu Chemnitz. Da geht es um Macht und Reichtum, aber auf der anderen Seite wird auch die Ausbeutung von Mensch und Natur nicht ausgeklammert. Und es geht auch um den Stolz der Bergleute und ihrer Familien – und sogar um ein mögliches Comeback des Bergbaus.

Das Erzgebirge ist stolz auf seine Bergbau-Tradition – davon zeugt auch dieser Jahrhunderte alte Pokal in der Sonderausstellung „Silberglanz und Kumpeltod“ im Chemnitzer Archäologiemuseum.

Geschichte und Geschichten der Region möchte der Purple Path mit Kunst verbinden. Dieser Kunst- und Kulturpfad wird von einigen (inclusive einer gehörigen Portion Übertreibung) gar als „Jakobsweg der Kunst“ tituliert. Wie dem auch sei. Diese Verbindung ist höchst eindrucksvoll. So nimmt der irische Bildhauer Sean Scully in seinen „Coinstack (Münzstapel) 2“ vor der herrlichen Wolfgangskirche von Schneeberg zum Beispiel den Aufstand der Bergleute dort Ende des 15. Jahrhunderts auf, der in  der Entwertung der Münzen damals wurzelt und als erster Streik auf deutschem Boden gilt.

Vor der Wolfgangskirche in Schneeberg: Sean Scullys „Coin Stack“ (Münzstapel).

In einem Kulturhauptstadt-Programm darf natürlich auch die Malerei nicht fehlen. So widmen sich die Kunstsammlungen am Theaterplatz vom 10. August bis 2. November dem norwegischen Künstler Edvard Munch, der 1905 für drei Wochen bei der Chemnitzer Industriellenfamilie Esche lebte und in kürzester Frist sieben Porträts von ihr anfertigte. Weltberühmt ist sein Gemälde „Angst“ geworden. Und dieses Gefühl prägt ja auch unsere Gegenwart. Kein Wunder, dass es zum Titel dieser Sonderausstellung wurde.

In die Realismusbewegungen der 1920er- und 1930er-Jahre in Europa kann man derweil vom 27. April bis 10. August im Museum Gunzenhauser eintauchen. Auch in dieser Kunstepoche spielen ja Umbrüche, Sorgen, Ängste, wirtschaftliches Ungleichgewicht, soziale Schieflage, aber auch künstlerische Blüte, Erfindergeist, technischer Fortschritt und Lebenslust (ja sogar Lebensgier) eine ganz zentrale Rolle. Die Spuren von all dem in der Kunst kann man in dieser Schau anhand von 190 Künstlern aus 21 Ländern verfolgen.

Gehören zum Fundus der Kunstsammlungen Chemnitz: Ernst Ludwig Kirchners „Chemnitzer Fabriken“ aus dem Jahre 1926 – Kunst und Zeit-Zeugnis zugleich.

All das hier Genannte kann indes nur ein kleiner Einblick in dieses Kaleidoskop der Kultur sein, in das man in diesem Jahr in Chemnitz und seiner Region zu blicken vermag. Fast 900 Institutionen und Einzelpersonen haben sich mit über 1000 Veranstaltungen in dieses Programm eingebracht. Da haben Kulturfreunde wahrlich die Qual der Wahl.

Aber die ist höchst angenehm. Und faszinierend. Am besten, man fährt einfach mal hin.

WISSENSWERTES

Detailinformationen zum Programm des Kulturhauptstadtjahres findet Ihr hier.

Infos über die Stadt Chemnitz und ihre Schönheiten hält Zwickau Tourist hier bereit.

Tipps für die ganze Region Chemnitz/Zwickau bekommt Ihr hier.

In Sachsen gibt es natürlich auch noch viele andere schöne Ecken – hier gibt es alle Details dazu.

Und hier die beiden ersten Folgen meiner Eindrücke von der Kulturhauptstadtregion Chemnitz-Zwickau:

Chemnitz 2025 (1): Im Horch Museum

Chemnitz 2025 (2): Im Robert-Schumann-Haus


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