Vermutlich jeder Mensch dürfte sie kennen: seine „Seelenbilder“, die ihn nicht nur über das Auge, sondern auch und gerade über das Herz erreichen. Und insofern gibt es wohl auch „Seelenmaler“ die just diese Kunst beherrschen, andere zutiefst zu berühren. Meiner ist zum Beispiel Caspar David Friedrich. Und daher habe ich mich sehr gefreut, daß ich beim Presse-Preview zu der großen Ausstellung mit dabei sein konnte, die anlässlich des 250. Geburtstags des Inbegriffs der Dresdner (und vermutlich auch deutschen) Romantik in der Albertina in Dresden stattfindet.
„Wir wollten Caspar David Friedrichs Farben zu Glühen bringen“, umriss Kurator Holger Birkholz bei der Pressekonferenz am Tag vor der Eröffnung der Ausstellung „Caspar David Friedrich – Wo alles begann“ eines seiner Ziele bei der Konzeption der Ausstellung. Und wer durch diese Schatzkammer der Malkunst lustwandelt (anders kann man es bei dieser fantastischen Schau kaum ausdrücken), der wird ihm wohl ohne Zweifel attestieren: Das ist ihm ganz hervorragend gelungen.
Nicht zuletzt durch zwei Annäherungen an die Biografie des großen Malers: „Caspar David Friedrich hat Weiß abgelehnt“, weiß Birkholz zum einen. Wohl wegen der Befürchtung, der helle Hintergrund überstrahle die Gemälde. Und so hat der Kurator sich für einen „warmen, gebrochenen Schwarzton“ entschieden. Was Caspar David Friedrich zudem nervte: die damals übliche Art der Akademieausstellungen, bei der die Gemälde mehr oder minder wahllos aneinandergehängt wurden, als ginge es vornehmlich darum, die Wand tapetenartig zu füllen und möglichst wenig Zentimeter Platz dazwischen zu lassen.
Just dies aber hat Birkholz hier schlichtweg grandios inszeniert. Sicher, jedes einzelne Bild der 120 Zeitgenossen Friedrichs ist hier für sich allein ein sehenswertes Kunstwerk, geht in der Masse freilich völlig unter. Einfach zu viel des (künstlerisch) Guten eben.
Caspar David Friedrich (oder CDF, wie er hier in Dresden allenthalben abgekürzt genannt wird), bekommt in fünf Kabinetten, die jeweils einen Aspekt seines Schaffens beleuchten, den Platz, der ihm gebührt.
Das erste ist der Rückenfigur gewidmet. Und da sehe ich mich gleich meinem absoluten Seelenbild gegenüber: dem „Wanderer über dem Nebelmeer“. Was mag er wohl denken? Sehnt er sich nach der Ferne? Sähe er gerne, was unter dem Nebel ist? Oder ist er ganz froh, wenn er nicht mitbekommt, was sich da unten in der Tiefe abspielt? Hätte er gern jemand neben sich? Oder ist er auch gern allein? Plagt ihn Einsamkeit? Überlegt er sich, ob es hinterm Horizont weitergeht und zieht es ihn dorthin? Oder bliebe er gern einfach nur stehen und hofft, daß alles so bliebe, wie es gerade ist? Fragt er sich, wer das alles geschaffen hat? Sieht er mit dem Herzen gut? Fragen wie diese gehen mir da durch den Kopf. Und ich spüre innerlich: Der Wanderer ist im Grunde ein Stellvertreter von mir. Oder vermutlich von uns allen. Denn die großen existenziellen Fragestellungen haben sich ja in den rund zwei Jahrhunderten, seit dieses Bild entstand, nicht verändert. Nur das Drumherum.
Der „Wanderer über dem Nebelmeer“ ist mir aber auch deswegen so nahe, weil ich mich schon während der Recherche zu meinem Wanderbuch „Mit Geist und Füßen – Sächsische Schweiz und Osterzgebirge“ intensiv mit ihm befasst habe. Damals habe ich gelernt, dass diese Landschaft, die mich so fasziniert und förmlich in sich hineinzieht, im Grunde gar nicht existiert, sondern ein früher Fake ist: CDF hat sie nämlich aus mehreren Kuppen und Gipfeln zusammenkomponiert und verwendete dabei Skizzen von gleich fünf verschiedenen Standorten in der Sächsischen Schweiz: einen eher unscheinbaren Felsbrocken am Fuß der Kaiserkrone, den Gamrig bei Rathen, den Blick vom Wolfsberg, den Zirkelstein und einen böhmischen Kegelberg.
Aber je länger ich drüber nachdenke, desto mehr wird mir klar: Im Grunde ist das ja völlig Wurst. Leben wir in Wahrheit nicht alle in einer Traumlandschaft? Und zwar gerne. Weil die Realität im Grunde sonst oft nur schwer auszuhalten wäre?
Doch nicht nur dem Wanderer, sondern im Grunde allen Menschen, die CDF auf den Gemälden in diesem Kabinett von hinten dargestellt hat, kann man sich nahe fühlen. „Der Blick geht in die Ferne und zugleich ins Innere der eigenen Gefühlswelten“, ist das im Info-Text zu diesem Raum wunderschön beschrieben. Mir geht das zum Beispiel beim „Mondaufgang am Meer“ so.
Auf der Info-Tafel entdecke ich, bevor ich das Kabinett verlasse, sogar noch einen zeitlosen Meditationsübungs-Tipp vom Meister höchstpersönlich: „Schließe Dein leibliches Auge, damit Du mit dem geistigen zuerst siehst Dein Bild. Dann fördere zutage, was Du im Dunkeln gesehen, damit es zurückwirke auf andere von außen nach innen“, schrieb er 1830. Ein Ratschlag, der nicht nur für Maler gilt. Das kann man auch auf jeder Wanderung ausprobieren.
Auf zum nächsten Kabinett! Dort spielt ein Ort mit eine zentrale Rolle, um den viele am liebsten einen großen Bogen machen würden: der Friedhof. Caspar David malt diese Anlagen aber so, daß sie mir tatsächlich wie Tore zur Ewigkeit anmuten – auch den Eingang zum Trinitatisfriedhof auf dem er 1840 selbst seine letzte Ruhestätte finden sollte..
Einerseits kann man dieses Bild als Zeugnis seines tiefen christlichen Glaubens und der Überzeugung, daß ein Leben nach dem Tod existiert, sehen. Auf der anderen Seite erzählen CDFs Friedhofs-Bilder auch von den Gefühlen bitterer Trauer, die seinen Lebensweg begleiteten und gewiss auch immer mal wieder dem Zweifel Bahn brachen: Er fühlte sich schuldig am Tod seines Bruders, der beim Versuch, den damals 13-Jährigen, der beim Schlittschuhlaufen im heimatlichen Greifswald ins Eis eingebrochen war, zu retten, selbst ums Leben kam. Als Caspar David 46 war, fiel sein bester Freund Gerhard von Kügelgen einem Mordanschlag zum Opfer, im Jahr darauf wurde das Kind, das er mit seiner Frau Caroline erwartete, tot geboren. Kein Wunder also, wenn sich da die Düsternis über ein Leben ausbreitet (das Tor zum Trinitatis-Friedhof aus dem Jahre 1825 mag ein Sinnbild dafür sein).
Doch es gab auch den politischen CDF. Nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819, mit denen die absolutistischen Herrscher Europas den liberalen und nationalen Gedanken in ihren Staaten den Garaus machen wollten, konnte er seine Botschaften indes nur „verschlüsselt“ rüberbringen.
So malte er 1823/24 zum Beispiel das Grab des Reichsritters, Humanisten, Dichters, Kirchenkritikers und Luther-Zeitgenossen Ulrich von Hutten, der nach dem Sieg in der Freiheitskriegen gegen den von Friedrich gehassten Napoleon von 1813 als Urvater der Idee eines deutschen Nationalstaates (der den Fürsten, die um die Macht in ihren Territorien fürchteten, zuwider war) gefeiert wurde.
Unmittelbarer nach der Verkündung dieser die Freiheit einschränkenden Beschlüsse entstanden die „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“. Als „Code“ für deren Botschaft fungierte dabei die Kleidung: Die beiden trugen die in den Karlsbader Beschlüssen verbotene Altdeutsche Tracht, die die aktuelle Mode mit der Luther-Zeit verknüpfte: offener Kragen an einem langen Rock, weit geschnittene Hosen und oft ein samtenes Barett. Auch die Urburschenschafter, die beim Wartburgfest in Eisenach „Ehre Freiheit, Vaterland“ propagierten, waren so gekleidet. Der Neumond wiederum stand für die Hoffnung auf eine bald hereinbrechende neue Zeit.
In dieser fantastischen Ausstellung findet man aber auch Werke, über die man nicht groß nachsinnenieren muß – bei ihnen vermag man sich einfach dem Genuß pur hinzugeben. Für mich ist das etwa die Ölstudie „Abend“ . Würde man sie irgendwo ohne Erläuterung aufhängen, würden meiner Meinung nach die meisten Laien (wie ich einer bin) nicht auf die Idee kommen, daß dieses Bild schon 200 Jahre auf dem Buckel hat. Ein Beweis, wie aktuell CDF auch heute noch ist. Oder vielleicht trifft es dieser Ausdruck besser: zeitlos.
Während ich dies schreibe, merke ich, wie ich regelrecht ins Schwelgen komme, denn meine Begeisterung hat nicht nachgelassen, seit ich wieder zuhause in Reutte in Tirol bin. Ich muß mich am Riemen reißen, denn schließlich kann ich nicht allen Aspekten gerecht werden, und auch der tollste Artikel kann den unmittelbaren Eindruck vor Ort nicht ersetzen.
Ohne den spirituellen Caspar David Friedrich würde an dieser Stelle freilich etwas fehlen. Und zwar etwas ganz Zentrales. Viele seiner Werke sind ein regelrechter Gottesdienst, erzählen die meisten doch von der Schönheit und Erhabenheit der Schöpfung.
Den Watzmann hat er zum Beispiel nie gesehen. Aber ein Aquarell seines Schülers August Heinrich schlug ihn derart in den Bann, daß er es zur Vorlage für ein großes Gemälde machte. In bester CDF-Manier rückte er einen Felsen in den Vordergrund, den er 1811 auf seiner Harzwanderung (also ganz weit weg vom Berchtesgadener Land) skizziert hatte: den Trudenstein. Ohne jedes religiöse Attribut, versteht man hier sofort: Hier geht es um die Ehrfurcht vor der Schöpfung und der Allmacht Gottes.
Übrigens: Caspar David Friedrich religiöses Werk hatte auch eine provokante Seite. Ein Altarbild ohne Heiligenfiguren, ohne eine biblische Szene – das konnte (oder durfte?) doch nicht sein!!! Und so wurde das „Kreuz im Gebirge“, das als „Tetschener Altar“ berühmt werden sollte, kurz nach seiner Entstehung keineswegs einhellig bejubelt, sondern war durchaus umstritten. Sah man es doch als eine Grenzüberschreitung, quasi ebenfalls etwas Revolutionäres. Der Künstler sah sich genötigt, selbst eine Deutung des Bildes zu geben: Der Felsen steht für die Glaubensfestigkeit, die immergrünen Tannen für die Hoffnung auf Jesus Christus und die Auferstehung.
Holger Birkholz hat dieses „Gesamtkunstwerk“ (CDF hat nicht nur das Bild gemalt, sondern auch den von dem Bildhauer Christian Gottlieb Kühn geschnitzten vergoldeten Rahmen entworfen) einfach wunderbar inszeniert. Er präsentiert es in einer dunklen Ecke, ähnlich dem Atelier Caspar David Friedrichs, der übrigens am liebsten in der Dämmerung malte und tagsüber lieber draußen skizzierte. Und dennoch (oder gerade deswegen) leuchtet es nachgerade überirdisch.
Das dreieckige „Auge Gottes“ im Rahmen korrespondiert mit der Dreiecksform des Berges, und für den Kurator läßt es den Betrachter auch an den immerwährende Kampf zwischen Licht und Schatten Anteil haben. Diese Vielschichtigkeit macht für Birkholz nicht zuletzt auch heute noch den Reiz des Schaffens meines „Seelenmalers“ aus: „Er gibt immer noch Anlass zu diskutieren – umam Ende wieder am Anfang zu sein.“
INFOS
Caspar David Friedrich. Wo alles begann läuft noch bis zum 5. Januar 2025 in der Abertina am Georg-Treu-Platz in Dresden. Geöffnet: dienstags und mittwochs sowie sonntags von 10 bis 18 und donnerstags bis samstags von 10 bis 21 Uhr (montags geschlossen).
Der Katalog zur Ausstellung (432 Seiten/48 Euro) ist im Sandstein Verlag in Dresden erschienen.
Die Landschaft der Sächsischen Schweiz war die große Inspiration für Caspar David Friedrichs Schaffen. Frank Richter hat für den Sandstein Verlag einen tollen Wanderführer (192 Seiten/18 Euro) geschrieben.
Alles über das Museum und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erfährt man hier: www.skd.museum.
Touristische Informationen zur Region gibt es bei
Tourismusverband Sächsische Schweiz
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