Zu Fuß über die Peaks of the Balkans unterwegs zu sein, ist wunderschön, zuweilen kann das Ende einer Etappe auch ziemlich zäh sein. So wie diesmal von Reke e Allages nach Guri i Kuq.
Nun beginnt also schon die zweite Hälfte unserer Tour über die Peaks of the Balkans. Die Zeit ist wie im Flug vergangen, und wir sind erstaunlich fit. Die 500 Höhenmeter von unserem tollen Quartier, dem Gästehaus Ariu, wo wir mal wieder ein fantastisches Abendessen und ein reichhaltiges Frühstück genossen haben, zum höchsten Punkt unserer heutigen Etappe, der zugleich der nördlichste Punkt der gesamten Tour ist, packe ich erstaunlich gut, auch wenn es mit 100 Minuten objektiv viel länger als subjektiv gedacht (eine Stunde) gedauert hat, bis wir die Abzweigung auf 1817 Meter Höhe erreicht haben.
Sei’s drum! Oben schießen wir erstmal die obligatorischen Gipfel-Fotos mit den Camino-Girls Marita, Marina und Carol, freuen uns dann am Blick auf den Gjeravica (mit 2656 Metern der höchse Berg des Kosovo) und laufen frohgemut weiter. Bei herrlichem Sonnenschein ein optimaler Auftakt zu einer letztlich doch sehr fordernden Etappe.
Von der Anstrengung am Ende ist am Anfang noch recht wenig zu spüren. Wir trotten munter dahin, der Abstieg durch den Nationalpark Bjeshket e Nemuna auf die mittlere Höhe bei Pepaj bereitet uns nicht die geringste Schwierigkeit. Im Dorf fällt uns der Friedhof mit zum Großteil überwucherten Grabsteinen auf. Auf ihnen sind oft Bilder von Männern mit Turban eingraviert, doch religiöse Symbole entdecken wir kaum – im Gegensatz zum albanischen Doppeladler. Das Bekenntnis zu Groß-Albanien scheint hier wichtiger zu sein als eines zur Religion (in diesem Fall zum Islam).
Bei der Beschreibung in Alpenvereinaktiv ist kurz darauf von einem „Fahrweg“ die Rede, doch der ist mittlerweile ausgewaschen und schwer von der Erosion gezeichnet. Und er hält eine absolute Sensation für mich bereit: Vor mir schlängelt sich (im wahrsten Sinne des Wortes) eine riesige Schlange über den Weg, der in etwa so breit ist wie sie lang…
Leider kommt Christine einen Tick zu spät, so daß ich mir nicht sicher bin, was für ein Riesending das war. Sie als Biologin hätte das sicher gewusst. Das Handy wiederum steckt im Rucksack, so daß es mit dem Fotografieren auch nix ist. Aufgrund meiner Beschreibung und späteren Recherchen im Internet gehen wir indes davon aus, dass Christines Vermutung stimmt: Eine Äskulap-Natter hat wohl meinen Weg gekreuzt – die längste Schlange Europas. Vom Aussterben bedroht. Zumindest hat sie in Deutschland nur noch vier Lebensräume. Stark gefährdet also. Hier auf dem Balkan soll es etwas besser aussehen – welch ein Glück für mich!
So beseelt hält sich der Groll über die mit riesigen Schotter-Steinen belegte Piste bergab in engsten Grenzen. Dennoch: Auf diesem „Fahrweg“ war ganz sicher schon seit Jahren kein Fahrzeug mehr unterwegs.
Immerhin findet Arco, unser treuer vierbeiniger Begleiter dort einen riesigen Knochen, an dem er sich gütlich tut. Doch von wem stammt er? Einer Kuh? Einem Hirsch? Von letzteren haben wir indes bisher noch gar nichts erahnt, geschweige denn gesehen (außer auf Wirtshaus-Schildern). Oder gar einem Bär? Wer weiß?!
Endlich am Dörfchen Drelaj angekommen, fällt unser Blick auf einen fantastischen Neubau – es ist nicht (wie Christine vermutet) das Wohnhaus des Imam der Moschee ganz in der Nähe, sondern das Gästehaus Bujtina Kacaku. Und dort haben sich natürlich auch unsere alten Bekannten schon an Speis und Trank gütlich getan: Paul und die Camino-Girls.
Wir selbst trinken nur was und gönnen uns ein kleines Stück Sahnekuchen mit herrlichen Apfel- und Bananenstückchen ringsum. Absolut köstlich! Wer diese Mega-Etappe nicht in einem durchgehen möchte, der vermag hier abzubrechen und am nächsten Tag weiter zu marschieren. Dieses Haus ist auf jeden Fall wärmstens zu empfehlen…
Das gilt leider nicht für die nächsten Kilometer Wanderschaft, aber die Asphaltstraße muß beim derzeitigen Verlauf der Peaks of the Balkans-Route leider nun mal sein. Aber wenn ich ehrlich bin: Wenn es ums pure Kilometerbolzen geht, sind mir solche Passagen zwischendurch auch eigentlich gar nicht so unrecht.
Die vorbeifahrenden Lkw mit Beton lassen erahnen, daß hier neue Wander- oder gar Skigebiete erschlossen werden. Ein Eindruck, der sich wenig später bestätigt: durch eine wahre Armada an Werbeschildern für Hotels und Resorts. Großes Stichwort dabei: Öko (beziehungsweise Eco).
Wir aber biegen vorher ab nach Dugaive. Aus der Ferne sehe ich ein kleines Denkmal, und meine Ahnung trügt mich nicht: Auch hier in der herrlichen Landschaft des Rugova tobte der Bürgerkrieg gegen die serbische Armee massiv.
Kurz darauf wieder der absolute Gegensatz: Die herrlichen, geradezu paradiesischen Blumenwiesen hätten mich so was nie erahnen lassen. Irgendwie tröstlich: Das Leben blüht eben immer wieder auf und triumphiert letztlich über den Tod.
Wir sind entgegen meiner Vermutung indes immer noch nicht auf unserem letzten „Gipfel“ angekommen. Der wartet erst nach einer halben Stunde auf einer Passhöhe an einer im Bau befindlichen Feriensiedlung auf uns. Die kündigt zugleich einen Abstieg an, der es in sich hat: Sträucher werden hier nicht zurückgeschnitten, umgestürzte Bäume einfach liegengelassen – es geht eben wild zu auf den Peaks of the Balkans. Und langsam sind wir das ja auch schon gewohnt.
Auf der anderen Talseite sehen wir in luftiger Höhe eine Hotelsiedlung. Das wird doch nicht unser heutiges Quartier, das Guri i Kuq sein? Drunten am Fluß trifft uns dann der Schlag: Genau so ist es!
Und das bedeutet: Es warten nochmal vier Kilometer Asphaltstraße auf uns. Wir sind ziemlich erschöpft – daher ist diese Erkenntnis für uns der absolute Horror. Wir schleppen uns mühsam voran, ich versuche mich als Autostopper – aber hinter uns kommt so gut wie kein Auto, und die paar wenigen sind alle voll besetzt. Als ein Transporter entgegenkommt, bin ich guter Hoffnung, den freundlichen Mann am Steuer überzeugen zu können, uns hochzufahren – doch er muß leider ablehnen. Sein Rückraum ist bereits besetzt – mit ein paar Schafen…
Zwei Kilometer vor dem Ziel ist mein Handy gottseidank wieder geladen – und in einer Kurve steht ein Reklameschild für unser Hotel Guri i Kuq. Mit Telefonnummer. Ich nutze die Chance – und man ist sofort hilfsbereit. Ein freundlicher Herr mit klapprigem Kleinlaster holt uns ab und erspart uns die letzte Strapaze. Die Info, daß das der Besitzer gewesen sei, kann ich am nächsten Morgen kaum glauben. Daß er sich strikt geweigert hat, ein kleines Trinkgeld für seine große Hilfe anzunehmen, spricht allerdings dafür…
Auf der Terrasse des herrlich gelegenen Hotels genießen wir die Aussicht hinunter ins Rugova-Tal. Die Camino-Girls und Paul sind schon länger da und haben sich schon Sorgen um uns gemacht. Wie lieb!
Den Vorschlag, hier auf dem „Balkon“ über dem Rugova-Tal zu essen, nehmen wir natürich sofort an – und genießen in froher Runde das köstliche Mahl hier. Und einen fantastischen kosovarischen Weißwein noch dazu.
Gegangen am 27. Juni 2023
Länge: 22 km (für uns wegen Autotransport 2 weniger)
Dauer: 8 Stunden (für uns 10)
Höhenunterschied: 1235 m hoch (für uns 150 weniger) , 1125 ab
höchster Punkt: 1817 Meter
Zum Link von Alpenvereinaktiv: klickt hier!
Und hier die bisherigen Folgen meiner Serie über die Peaks of the Balkans: