Kosovo – ein junger (und nicht von allen anerkannter) Staat. Aus den Schlagzeilen kennt man ihn nur als vom Bürgerkrieg gebeuteltes Land. Aber wie ist es dort wirklich? Darauf sind wir auf unserer heutigen Etappe über die Peaks of the Balkans wirklich schon sehr gespannt.
Das Frühstück in unserem „Nobel-Chalet“ beim Guesthouse Peaks of the Balkans von Bilbil Vatnica war zwar nicht so üppig wie bei den Quartieren zuvor – aber dennoch völlig ausreichend. Wir können direkt hinter unserer Hütte starten, aber erleben gleich eine der großen Schwächen der Peaks of the Balkans: Gerade an Schlüsselstellen ist die Markierung oft äußerst unzureichend.
Immer wieder müssen wir den Weg durch die herrlichen Almwiesen (wie man bei uns sagen würde) „neu erfinden“. Schweißtreibend geht es hinauf zum Joch am Trekufiri. Dort genießen wir den Blick zurück auf die Albanischen Alpen, denen wir jetzt für eine Weile Adieu sagen müssen.
Aber wenn wir auf die anere Seite schauen, dann weckt das ebenfalls Vorfreude: Die Berge in Montenegro und dem Kosovo faszinieren genauso. Wieder sind die Grenzen nicht zu erkennen – die Natur kennt sie schlichtweg nicht. Zu Fuß können wir einfach weitergehen, während (wie ich später erfahre) Autos oft einen stundenlangen Umweg wählen müssen, da die Übergänge auf der Straße zwischen Montenegro und dem Kosovo nach wie vor gesperrt sind und es ohnehin hier im Gebirge nur ganz wenige davon gibt.
Wanderfreude pur prägt auch die nächsten Kilometer: Auf einem fantastischen Kammweg können wir die Blumenwelt ebenso genießen wie die herrliche Landschaft ringsum. Der Möglichkeit, auf dem Qafa Bogiqes, einem Pass auf 2092 Meter Höhe, nach links hinunter nach Babino Polje in Montenegro abzuzweigen, so den Kosovo auszulassen und die Tour um drei Tage zu verkürzen, entsagen wir ganz bewußt.
Ich möchte ganz einfach wissen, wie es in diesem Land aussieht, das ich nur aus Nachrichten über Bürgerkrieg un Differenzen zwischen Albanern und Serben kenne, und auch die Atmosphäre dort spüren.
Hier in dieser herrlichen Bergwelt ist all das aber erstmal ganz weit weg – oder besser gesagt: nicht vorhanden. Stille und Frieden begleiten uns, ganze Matten von Enzian schlagen uns in ihren Bann – die ganzer Pracht läßt sich unmöglich mit der Kamera einfangen. Da muß man schon ins Detail gehen, um das nur annähernd bildlich zu erfassen.
Gottseidank haben wir uns die Offline-Karte von Alpenvereinaktiv heruntergeladen. Denn ohne sie hätten wir den Abzweig ins Roshkodol-Tal wohl wie später unsere Camino-Girls Marita, Marina und Caro, die parallel mit uns unterwegs sind, verpasst (nach einigem Hin und Her haben sie ihn dann gottlob letztlich doch gefunden).
Aber kurz nach einem Feld mit Latschen, die nicht zurückgeschnitten werden (so daß kaum ein Durchkommen ist), versagen sowohl die Markierung als auch GPS…
Wir haben uns wohl heillos verlaufen und können nur schätzen, wo wir eigentlich hinmüssen. Da geht es zuweilen recht abenteuerlich zu, bis wir endlich wieder ein rot-weiß-rotes Zeichen erkennen. Es führt uns zu einer Furt, auf der meine La Sportiva-Wanderschuhe mal wieder ihre Bergbach-Tauglichkeit unter Beweis stellen können.
Nun naht Roshkodol – das erste Kosovo-Dorf, das wir erreichen. Ich bin schon gespannt auf das Dorfleben – aber bei näherer Betrachtung entpuppt es sich als eine Ansammlung von Ferienhütten.
An einer davon grüßt mich freundlich ein Kosovare auf Deutsch – er wurde hier geboren, ging dann aber zum Arbeiten in die Schweiz, ist jetzt im Vorruhestand und hat sich in seiner Heimat mit eigenen Händen (er ist wie so viele Exil-Kosovaren Bauarbeiter) ein Holzhäuschen im Schweizer Stil erbaut.
Er lädt uns ein, und beim Bierchen (ein Zeichen dafür, wie frei hier der Islam interpretiert wird) erfahren wir sehr viel üben den Kosovo, dessen Geschichte im allgemeinen und sein Dorf im Besonderen.
Die Schrecken des Krieges nach der Implosion Jugoslawiens sind für uns Mitteleuropäer wohl unvorstellbar. Mich erinnern sie (angesichts von Babys und Kindern, denen der Kopf abgeschlagen wurde) an den Dreißigjährigen Krieg in deutschen Landen.
Bedrückend ist auch, dass in diesem Dorf, in dem früher mit rund 40 Familien pulsierendes Leben herrschte, heute vielleicht drei der kleinen Häuslein gleichzeitig bewohnt sind. Kinder? So gut wie keine mehr. Und die Jugend zieht entweder in die Stadt – oder gleich ins Ausland. Wie soll da dieser Staat, den immer noch viele gar nicht anerkennen, da je auf die Beine kommen?
Aber das Gespräch hat auch seine heiteren, hoffnungsvollen Seiten. Und so gehen wir beschwingt das letzte Drittel unserer heutigen Etappe an. Kurz darauf stehen wir indes vor einem reißenden Wildbach. Der scheint sogar für meine Wanderstiefel eine zu große Herausforderung. Und so wagen wir es doch, die mit einem Berg von Ästen vermeintlich unpassierbar gemachtew Brücke (die Autos fahren eh mitten durch den Bach) zu betreten und zu hoffen, daß das Holzbauwerk nicht gerade in diesem Momet einstürzt. Wir schaffen es, doch Arco, unser treuer vierbeiniger Begleiter, scheitert am letzten Büschel und stürzt in den Fluß. Aber bewundernswert: Er kommt schnell mit der Situation zurecht, überwindet den Schreck, rappelt sich auf und krabbelt erfolgreich wieder den Ufer-Abhang hoch.
Hoch müssen wir jetzt alle drei – allerdings kilometerweit bis zu unserem Quartieer. Auch dieses Finale ist wieder sehr anspruchsvoll, und an den ersten Häusern von Milishevc begrüßt uns zudem ein großer Hund. Können wir uns mit Arco da überhaupt an ihm vorbeitrauen? Aber meine These bestätigt sich: Wenn man nach dem Bellen freundlich mit ihm spricht, wird er plötzlich ganz anders und läßt uns problemlos vorbei. Und so sind die letzten Höhenmeter im Grunde die größere Herausforderung.
Wir sind froh, endlich am Ziel zu sein. Aber leider endet dieser Tag ziemlich frustrierend: Im Kulla Guesthouse sind Hunde offensichtlich nicht willkommen, man will uns zuerst in einer relativ derangiert wirkenden Hütte unterbringen, spricht zudem weder Deutsch noch Englisch, und erst nach dem Dolmetschen durch die Nachbarn, die in Deutschland gearbeitet haben, klappt es dann doch. Also, Hundebesitzer: Besser woanders buchen!
Trotz diesr nicht unbedingt hocherfreulichen Erfahrung: Das Essen hat prima geschmeckt. Und die Paprika in Käse-Soße sollten sich zu Christines Lieblingsgericht entwickeln…
Gegangen am 25. Juni 2023
Länge: 18 Kilometer
Dauer: 8 Stunden (mit Pausen)
Höhenunterschied: 925 Meter auf, 988 Meter ab
Höchster Punkt: 1924 Meter
Tiefster Punkt: 1200 Meter
Für den Link zu Alpenvereinaktiv: klickt hier!
Und hier die bisherigen fünf Folgen meiner Serie über die Peaks of the Balkans: