Shkoder (oder Shkodra) war einfach toll! Gleich zu Beginn unserer Reise hat uns Albanien höchst positiv überrascht. Doch eigentlich sind wir ja nicht zu einem Städtetrip, sondern zum Wandern dorthin gefahren. Und daher soll es nun endlich losgehen. Wir sind schon sehr gespannt, was da in den Albanischen Alpen so auf uns wartet…
Wir haben Shkoder sehr genossen, aber dennoch freuen wir uns, daß es nun ab in die Berge geht. Theth ist nur 76 Kilometer weit weg. Aber das Navi gibt dennoch eine Fahrtzeit von zweieinhalb Stunden an. Am Ende unserer Fahrt wundern wir uns darüber bei weitem nicht mehr so sehr wie am Anfang.
In Erstaunen versetzt uns aber schon nach kurzem ein Komplex, der sich (ziemlich neu gebaut) rechts der Straße von Koplik hinein in die Berge präsentiert. Zuerst denke ich an eine Kaserne, aber der massive Einsatz von Stacheldraht irritiert mich dann doch. Eine Inschrift auf der Mauer (kein illegales Graffiti, sondern offensichtlich bewußt und hochoffiziell angebracht) bringt dann des Rätsels Lösung: „Bildung ist der goldene Schlüssel zum Tor der Freiheit“, steht da auf Englisch. Der albanische Staat plaziert seine Gefängnisse wohl gern draußen in der Pampa. Aber wenigstens ist das hier neu, und daß auf Bildung Wert gelegt wird, zeigt ja auch ein Bewußtsein, daß nicht nur Strafe, sondern auch Resozialisierung sein muß.
Langsam steigt die Straße an, und stetig verkürzen sich die Intervalle zwischen den Kurven der engen Trasse. Christine muß gewaltig kurbeln, und ich bewundere sie, wie sicher sie das alles hinkriegt. Auf der Passhöhe halten wir an und sind ganz baff von der herrlichen Bergwelt, die sich da diesseits wie jenseits auftut.
Die Serpentinen hinunter nach Theth, der Siedlung, die dem Nationalpark hier ihren Namen gegeben hat, sind vielleicht noch wilder als bei der Fahrt bergauf. Aber bald sind wir ja da!
Denken wir. Aber typischer Fall von denkste! Das Navi lotst uns zu einer wenig vertrauenerweckenden Brücke aus Holzplanken ohne Geländer. „Das kann doch nicht sein“, denken wir, und ich rufe daher bei der Kontakt-Telefonnnumer unseres Quartiers, des Marash Rrgalla Guesthouse, an. Kristjan, der Sohn, arbeitet in Shkoder und meint mit dem Brustton der Überzeugung, daß diese Brücke „no problem“ sei – zudem warte seine Schwester an der nächsten Kreuzung auf uns, um uns ans Ziel zu lotsen.
Christine überwindet sich, steuert souverän über die Brücke. Als aber Martina vom Guesthouse an der nächsten Kreuzung sagt, wir sollten weiter über die ausgehöhlte steile Schotterpiste nach oben, streikt sie: „Ich fahre keinen Meter weiter!“
Also will ich den Helden spielen, komme aber nur etwa 100 Meter weit, dann dreht das Auto (wohlgemerkt: nicht ich) durch. Also wieder zurück…
An einer hölzernen Bar auf Stelzen frage ich, ob ich das Auto dort stehen lassen kann – für (umgerechnet) 25 Euro für zwei Wochen bekomme ich die Erlaubnis.
Alsdenn: Rucksäcke packen, schauen, daß man nichts vergißt, gut überlegen, was man wirklich braucht – und dann die 200 Höhenmeter zum Guesthouse in Angriff nehmen!
In einer halben Stunde sind wir droben und werden herzlich von Martina und ihren Eltern Marash und Albina begrüßt. Unser Zimmer in ihren 200 Jahre alten Bauernhaus begeistert uns.
Das Videotelefonat mit meinem Sohn Bene zu dessen 38. Geburtstag klappt völlig problemlos, er meint, in Albaniens Bergen funktioniere das Internet anscheinend besser als in so mancher deutschen Stadt…
Dann wird das Essen aufgetischt. „Typical albanian food“, sagt Martina, die mit ihrem 15 Jahren erstaunlich gut Englisch spricht. Und der Kartoffel-Eier-Auflauf und der (selbstgemachte) Speck schmecken ganz hervorragend. Selbst der Rotwein und der Raki stammen aus eigener Produktion, wie Martina immer wieder voller berechtigtem Stolz erzählt. „Tutto bio“, fügt ihr Vater schmunzelnd hinzu.
Wir fühlen uns sehr wohl bei diesen fleißigen Menschen (die Eltern gehen schon ganz früh auf den Acker neben und hinter ihrem Haus), und sind froh, uns dafür entschieden zu haben, noch einen Ruhetag hier einzulegen, bevor dann unsere große Tour über die Peaks of the Balkans startet.
Mir fällt das Kreuz auf, das über der Tür des Bauernhauses eingemauert ist. Vor zehn Jahren haben es die Rrgallas dort angebracht, zuvor waren zwei auf dem Dach. Enver Hodscha hat sein großes Ziel, in seinem Heimatland den ersten strikt atheistischen Staat der Welt zu schaffen, in diesem abgelegenen Tal wohl doch nicht erreicht. Das inspiriert mich für meine Kolumne „Christen unterwegs“, die ich in den nächsten Tagen noch während unserer Wanderung für die Außerferner RUNDSCHAU schreiben muss (respektive darf)…
Diese Familie aus den albanischen Bergen führt mir vor Augen, wie relativ doch alles ist. Nach unseren Begriffen (oder unserem ebenso berühmten wie fragwürdigen „Wertesystem“) sind sie arm, von morgens früh bis abends spät müssen sie arbeiten – und dennoch sind sie immer freundlich, fröhlich, herzlich, ruhen in sich. Martina schmeißt mit ihren 15 Jahren den touristischen Part in ihrem Haushalt, macht das glänzend, übersetzt, hilft beim Kochen – ihre Eltern können glücklich sein, solch eine Tochter zu haben!
Aber wie lange wird sie noch motiviert sein, die Sommer ihres Lebens in dieser Bergeinsamkeit zu verbringen?
Und hier die ersten beiden Folgen dieser Serie über die Peaks of the Balkans: