Freunde und Follower von mir wissen es: Die Grande Traversata delle Alpi (GTA) durch die Piemonteser Alpen ist für mich nach wie vor der schönste Fernwanderweg durch dieses faszinierende Gebirge. Das habe ich auch bei diesem Abschnitt (der zu meinen Lieblings-Etappen zählt) ganz intensiv gespürt.

Eigentlich will ich gar nicht so schnell weg von der Barbara Lowrie Hütte. Zu sympathisch ist mir das Team um Cinzia und Simona, das sein Herzblut für das Hüttenleben vergießt. Aber dann muß es halt doch sein, schließlich ist für den Nachmittag ein Gewitter angekündigt. Und im Nebel von gestern (dem 12. Juli 2021) sind wir ja auch schon ordentlich naß geworden.

Arriverderci: Abschied vom Rifugio Barbara Lowrie…

Wir stellen nach ein paar Hundert Metern fest, daß wir auf einem Lehrpfad der Provinz Turin unterwegs sind – und bei all den vielen  didaktisch toll aufbereiteten Infos über die Natur hier lernen wir unglaublich viel. Die Tafeln sind zwar in der Landessprache beschriftet, aber mit meinen rudimentären Italienisch-Kenntnissen kombiniert mit Richard Czernys Schul-Latein vom Parler Gymnasium zu Schwäbisch Gmünd, das mich dereinst zum großen Latinum geführt hat, komme ich doch ganz gut zurecht. Und so merken wir bei den vielen interessanten Eindrücken kaum, wie wir  an Höhe gewinnen.

Zudem erobert der Lärchenwald mein Herz – was sind das doch für tolle Bäume! Nicht nur im Herbst, wenn alle von ihnen schwärmen, sondern auch jetzt im hellen Frühlingsgrün voller Kraft, das meine Seele mit zunehmenden Alter immer mehr leuchten läßt.

Die Lärchen lassen meine Seele aufblühen…

Wir sind auf einer alten Militärstraße unterwegs. Erbaut in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. was aus meiner Sicht beweist, dass der „Duce“ schon lange mit einem Krieg gegen Frankreich rechnete, bevor es dann richtig los ging. Und als Pazifist denke ich mir: Wenn sich das Militär weltweit darauf beschränken würde, solch tolle Wanderwege zu bauen, dann wäre wahrlich viel erreicht…

600 Höhenmeter warten heute auf uns – für die GTA nicht sonderlich viel. Und so können wir es heute gelassen angehen lassen. Etwa 200 Höhenmeter unter dem Gipfel stoßen wir auf eine eingezäunte Schafherde. In ihrer Mitte: drei Hunde, die schon aus der Ferne auf sich aufmerksam machen. Sie nehmen ihre Aufgabe sehr ernst, denn hier gibt es wohl Wölfe. Aber als sie merken, daß hier wohl keine Gefahr droht, beruhigen sie sich auch schnell und schauen einen eher freundlich an. Ich muß innerlich schmunzeln: Bei uns in Tirol wird jeden Tag erzählt, so was (Schafhütehaltung auf Almen) ginge gar nicht…

Na, so was! In Tirol heißt es doch immer: „Schafhütehaltung nur mit Zaun und Hunden – das geht auf Almen gar nicht!“

Ab hier verabschieden wir uns von der Militärstraße und nehmen bergauf die markierten „Abschneider“. Denn leider wird das Wetter doch zunehmend schlechter. Und das Rifugio Barant, unser heutiger „Gipfel“ auf 2373 Metern, erreichen wir dann doch wieder im Nebel.

Auch im Nebel eine tolle Hütte: das Rifugio Barant.

Wir hatten uns aber eh vorgenommen, hier einen Kaffee zu trinken. Der Hüttenwirt bereitet ihn noch so zu wie in der Zeit, als hier am Pass eine Militärstation untergebracht war: Er muß erstmal heißes Wasser machen, denn nix kommt hier im Handumdrehen aus der Maschine, gut Ding will eben einfach Weile haben. Zehn Minuten daure das schon, sagt er, und so bleibt davor und danach noch viel Zeit zum Philosophieren.

Dabei spüren wir: Wir reden mit einem höchst interessanten Mann. Verschiedene Berufe hat Gianluca Onida schon ausgeübt, war auch schon mal Kellner auf Samos – und deswegen spricht er auch so gut Englisch. Im Herzen von Turin ist er aufgewachsen – aber sein Herz gehört den Piemonteser Bergen. Sein Rifugio ist top-sauber, und wenn der Nebel weg ist, hat man eine fantastische Sicht . Aber der Gute hat ein Problem: Er ist zwar schon lange hier, aber in Landkarten und deutschen Reiseführern wird seine Hütte hartnäckig als geschlossen verzeichnet. Seine Versuche, das zu ändern, sind bisher allesamt gescheitert. Deswegen geben wir es nun auch hier über dieses Blog weiter: Das Rifugio Barant ist im Sommer OFFEN! Und zwar nicht nur zur Einkehr im Vorübergehen, sondern auch zum Übernachten.

Engagieter Hüttenwirt unter schweren Bedingungen, aber mit viel Liebe zur Natur und dem einfachen Leben: Gianluca Onida.

Bei unserem interessanten Gespräch vergeht die Zeit wie im Fluge, aber dann müssen wir wirklich weiter, den  wir snd erst bei der Hälfte unserer Tour angekommen. Und so können wir uns leider keine Zeit mehr für den Alpenblumengarten von Peyronec mehr nehmen, obwohl uns dessen Betreuerin so freundlich zuwinkt.

Für den Alpenblumengarten bleibt leider keine Zeit – Regenwolken treiben uns voran…

Wolken ziehen hinein in den Talabschluss des Val Pellice, wo unser heutiges Ziel, das Rifugio Jervis, liegt. Ich kann nicht widerstehen und muss unweigerlich ein Video von diesem quasi sekündlich wechselnden Schauspiel drehen.

Weiße Nebel wallen überm Pellice Tal – nicht nur, wenn der Herbst beginnt, sondern auch im Bergfrühling.

Sanft senkt sich die Militärstraße hinab ins Tal, es ist die helle Freude, darauf zu wandern. Als dann das Wetter aber zunehmend schlechter wird, wechseln wir auf die Markierte Abschneider-Variante, die oft überwuchert ist – aber auch wunderschön. Wenn ich genügend Zeit hätte und mich entscheiden müßte – das wäre wahrlich schwer. Beides hat seinen Reiz und etwas für sich – vielleicht also eine Kombination zwischen beidem Also im Grunde genauso wie heute aus der Wetter-Not, nicht dem eigenen Triebe heraus.

Fast wie im Wilden Westen: die Conca del Pra (vom Rifugio Jervis aus gesehen).

Obwohl uns der einsetzende Regen nicht ganz verschont, kommen wir frohgemut am Rifugio Jervis an und stellen positiv überrascht fest, dass es hier auch Doppelzimmer gibt. Also zunächst die Stube beziehen, dann ausgiebig Tagebuch schreiben (kurz geht das auf diesem herrlichen Wanderweg einfach nicht) – und dann hinsetzen zum Abendessen!

En fantastisches Quartier: das Rifugio Jervis!

Auch hier wird wieder etwas zum Schwärmen serviert, und wir schaffen das kaum: Erst einmal ein riesiger Vorspeisen-Teller mit Vitello Tonnato, Toma-Käse mit „Gemüsepaste-Dach“, Speck, Schicken. Danach eine enorme Schüssel Minestrone, nach der wir eigentlich bereits papp-satt sind – und auch froh, daß uns die junge Dame nur eine Schüssel mit Taglionini in Reh-Sauce bringt. Ein Dessert schaffen wir aber beim besten Willen nicht nicht mehr!

Und auch das Essen ist fantastisch: Zunächst ein reicher Vorspeisenteller mit lokalen Produkten…

… und dann lockt auch das eingemachte Gemüse…

… plus die köstliche Minestrone mit gerösteten Brotwürfeln…

…, bevor die Tagliolini in Rehsauce endgültig papp-satt machen.

Aber auch hier ist klar: Auch das Rifiugio Jervis kommt auf die Shortlist meiner absoluten Lieblingshütten. Wobei ich mich unter denen dann sowieso nicht zu entscheiden vermag. Shortlist ist also bereits die höchste Auszeichnung, die ich für mich persönlich vergeben kann.

Statistik

gegangen am 13. Juli 2021
Länge: 8,5 km
Dauer: etwa 4 Stunden
Höhenunterschiede: 760 Meter bergauf / 790 Meter bergab
höchster Punkt: 2379 Meter
tiefster Punkt: 1702 Meter

Direktlink zu Alpenvereinaktiv: https://www.alpenvereinaktiv.com/s/IZuvGk

Link zur Etappe davor: https://www.juergengerrmann.eu/2022/01/gta-revival-2021-1-rifugio-pian-della-regina-rifugio-barbara-lowrie/