Fernwandern heißt nicht, durch die Gegend zu hetzen. Im Gegenteil: Es ist höchst ratsam, es auch einmal ein bißle langsamer angehen zu lassen. So wie auf dieser Kurz-Etappe unserer GTA-Revival-Tour 2021, als wir nach einem knappen Jahrzehnt wieder unsere eigenen Spuren auf der Grande Traversata delle Alpi durch Piemont kreuzten.
Heute wollen wir uns mal Zeit lassen, denn schon morgen wartet eine ziemlich harte Tour auf uns. Zudem will ich mich nicht so schnell von der Conca del Pra, die mich noch bei jedem Besuch an den Wilden Westen hat denken lassen (obwohl ich nie in diesem Teil in den USA war und es mich auch nicht dorthin zieht) trennen. Zumal das Rifugio Jervis mir über all die Jahre sehr ans Herz gewachsen ist. Luca hat uns bei unserem kurzen Aufenthalt in seinem Rifugio Barant erzählt, daß dies der größte Hochtal-Kessel der gesamten Alpen ist: „Drei Kilometer lang und ein Kilometer breit!“ Diese Weite erfreut mein herz Herz, und ich kann mich kaum satt daran sehen.
Als der Abschied dennoch gekommen ist, wählen wir nicht die Straße und den anschließenden Muli-Weg hinab, sondern den (wie ich annehme) noch älteren Fußpfad. Auch er begeistert uns mit seiner Wildheit, mit der er sich durch den wunderschönen Lärchenwald schlängelt. Immer wieder müssen wir über Felsen klettern – und auch bergauf wandern, obwohl wir eigentlich hinab Richtung Tal wollen.
Auf einem mächtigen Steinbrocken machen wir Jausen-Pause: Unter uns bahnt sich der Pellice, der dem Tal seinen Namen gegeben hat, seinen Weg, uns gegenüber stürzt die Cascata de Pis hinunter.
Als wir wieder aufbrechen, kommen wir nicht weit: Auf einer Wiese direkt am Wildbach ist ein Abenteuerweg über den Fluß angelegt – von einem Felsen zum anderen muß man sich über Stahlseile und eine löchrige Hängebrücke hangeln. Da kann Christine einfach nicht widerstehen, während ich mich auf die Rolle des Kameramanns beschränke.
Bei den Gumpen, die dann folgen, kommen Kindheits-Erinnerungen hoch: In einen davon muß ich mit meiner Schwester Birgit und unserem Vater vor 60 Jahren gestiegen sein. Legendäre Fotos sind damals entstanden, die mir noch heute erzählen, welch schöne Kindheit ich hatte und wie wohl ich mich schon immer in Italien und in Piemont gefühlt habe.
Auch Blumen fotografieren wir wieder häufig. Heute haben es uns besonders die Türkenbundlilien mit ihrem kräftigen Rot angetan, Christine gerät beim ganz besonderen Rost-Orange der männlichen „Geschlechtsteile“ dieser herrlichen Pflanzen in Begeisterung.
Wir nutzen das Zeitpolster, das wir heute haben, weidlich aus, genießen die wilde Romantik, und ich passe besser auf als beim letzten Besuch hier, als ich meinen Knöchel zwischen zwei Steinen eingeklemmt und ziemlich übel verletzt hatte.
Heute kommen wir heil in Villanova an – einem jener verlassenen Dörfer im Turiner Hinterland, in dem nur wegen der GTA noch einigermaßen Leben herrscht.
Wir schlafen wieder in einem der uralten Häuser und freuen uns auf das Abendessen in der lokalen Trattoria von Elda Rostagnol: Risotto mit Borretsch und Braten mit Kartoffeln plus Dessert.
Übrigens: Gebraucht haben wir statt der auf der Conca angegebenen eineinhalb Stunden fünf. Aber heute macht dasja nix. Nur morgen dürfen wir uns keine Trödelei erlauben.
Statistik
gegangen am 14. Juli 2021
Länge: 6,5 km
Dauer: etwa 5 Stunden (aber in zwei gut zu machen)
Höhenunterschiede: 260 Meter bergauf / 760 Meter bergab
höchster Punkt: 1748 Meter
tiefster Punkt: 1221 Meter
Direktlink zu Alpenvereinaktiv: https://www.alpenvereinaktiv.com/s/IZuv7Z
Links zu den Etappen davor:
GTA-Revival 2021 (1): Rifugio Pian della Regina – Rifugio Barbara Lowrie