Wandern im Piemont – das ist einfach ein Traum! Und das spürten wir auch bei unserer Revival-Tour auf der Grande Traversata delle Alpi (GTA) durch die Cottischen Alpen. Hier erfahrt Ihr, wie es losging.
Ein Spaziergang zum Wasserfall von Acquafraggia, den schon Leonardo da Vinci vor 500 Jahren bewundert und gezeichnet hat, die Aerosole durch die Luft fliegen sehen, ein gemütliches Frühstück vor unserem legendären Ford Transit Euroline – dann heißt es auch schon Abschied nehmen vom gemütlichen Campingplatz Acquafraggia, wo wir auf unserer Anreise durch Piemont Zwischenstation gemacht haben. Immerhin zeigt Google Maps eine Fahrtzeit von viereinhalb Stunden zum Startpunkt unseres GTA-Revivals.
Unterwegs entscheiden wir uns noch spontan zu einem Abstecher nach Orbassano bei Turin. Seit dem Tod meiner Schwester Elke vor fünf Jahren war ich nicht mehr dort. Wir kaufen in unserem traditionellen Supermarkt Il Gigante in der Nähe unser Proviant für die nächsten Tage ein, sitzen noch mit meiner Nichte Manuela sowie den guten alten Nachbarn Lucia und Tonino zusammen. Aber dann müssen wir unweigerlich weiter, denn schließlich wollen wir ja noch was zu essen.
Zunächst geht es flott voran, aber die vielen Kurven hinauf nach Crissolo und weiter auf die Pian della Regina („Ebene der Königin“) können Christine und Arco, unser treuer Hund, offensichtlich auf den Magen schlagen. Aber dann sind wir uns 19.40 Uhr doch am Rifugio Pian della Regina und können uns gleich an den Tisch setzen: Enrico, der freundliche Kellner, serviert einen herrlichen Vorspeisenteller, danach eine gute Polenta mit Wurst, Steinpilzen und Käse (wie könnte es in den Piemonteser Bergen auch anders sein?!) und als Tüpfelchen auf dem I die erste Panna Cotta mit Waldbeeren für dieses Jahr. Zufrieden geht’s ins Bett.
Und am nächsten Morgen dann endlich los. Wobei wir Glück haben. Denn im Gegensatz zu einer der drei netten Damen aus Gummersbach und Bad Aibling vom Nebentisch haben wir noch unsere Schuhe. Das scheint nicht selbstverständlich zu sein. Auf dem Rifugio Jervis zwei Etappen zu vor sind nämlich deren nagelneue Wanderstiefel spurlos verschwunden. Der nette Hüttenwirt dort entschied freilich sofort: „Du kriegst meine!“ Bisher läuft das (und die nette Dame) erstaunlich gut.
Um 9.30 Uhr startet dann am Kriegerdenkmal unser (erstes) Hochgebirgsprojekt 2021 – vorbei an einer Plantage (oder besser gesagt: einem kleinen Gärtlein), wo Edelweiß für medizinische Zwecke angebaut wird, geht es auf einem uralten Muliweg stetig bergauf. Dem Po, der rechts neben uns seine ersten Kilometer in Angriff nimmt, ist nicht anzusehen, daß er sich zu solch einem gewaltigen, Fruchtbarkeit bringenden Strom entwickeln wird. Gemütlich werde der Weg, hat uns Roberta, die Wirtin vom Rifugio, beim Abschied prophezeit. Und zumindest für das erste Teilstück stimmt das wirklich.
Entgegen der Wettervorhersage scheint am Morgen die Sonne. Mein gelbe Jacke ziehe ich ebenso wie mein blaues Shirt schnell aus, die stetige Steigung bringt einen ja eh ins Schwitzen. Von Beginn an begleitet uns eine unglaubliche Blumenpracht, Christine fotografiert fleißig, um die Pflanzen später in aller Ruhe zu bestimmen. Wir wandern auch diesesmal wieder durch ein schier unendliches Meer von Alpenrosen, Und Christine fällt als Biologin auf, daß deren Farben wie die der anderen Blumen hier viel intensiver leuchten als bei uns daheim in den Nordalpen.
Es gibt viel zu sehen auf dieser Etappe, und daher geht es auch nicht so schnell voran. Aber das stört uns nicht groß, denn diese Auftaktetappe ist ja nicht allzu schwierig. Dennoch sind wir mächtig stolz, daß wir auf der ersten großen Tour so gut bergauf kommen. Oberhalb des Lago Chiaretto, dem in vielen Beschreibungen eine „typische Herzform“ zugesprochen wird (und das kann man tatsächlich nachvollziehen!) legen wir eine Vesperpause ein und bewundern die Natur – und auch die jungen Leute, die sich bei ihrer Rast 100 Höhenmeter weiter drunten mutig in den eiskalten See stürzen. Ovationen der weniger mutigen inklusive.
Als wir fertig mit essen sind, fallen die ersten Tropfen. Wir wollen gut vorbereitet sein und legen daher schon jetzt unser Regenzeug an – von unseren früheren Touren im Piemont wissen wir, wie man hier blitzartig klitschnass werden kann. Und über uns brauen sich auch schon dunkle Wolken zusammen, Donnergrollen ist zu hören, um am nächsten Tag erfahre ich von meiner Nichte Manuela, daß in Turin zur selben Zeit heftige Gewitter toben und sie sich wohl Sorgen um uns macht. Der Weg wird jetzt schwieriger, und wir machen eine altvertraute Erfahrung: Immer, wenn wir meinen, den Pass erreicht zu haben, taucht der nächste Bergrücken auf uns es geht noch eine Etage höher.
Kurz vor tatsächlich letzten Etage überholen wir zwei Nicoles und eine Sylvie, drei nette französische Damen, deren Weg wir auch die beiden nächsten Tage immer wieder kreuzen. Oder besser gesagt: teilen. Und eine davon macht auch das heutige „Gipfelfoto“ auf dem Colle del Viso (2650 Meter). Mein Herz schlägt höher – noch vor ein paar Minuten dachte ich, die Rifugio Quintino Sella komme überhaupt nicht mehr. Und nun ist sie zum Greifen nah! Die zehn Minuten dorthin laufen wir wie beflügelt, denn schließlich geht es so gut wie eben dahin.
Eine Hütte schon am frühen Nachmittag zu erreichen – dieses Glück war mir bisher höchst selten beschieden. Aber es ist ein tolles Gefühl. Ich setze mich hin zum Tagebuchschreiben, aber unterbreche bald aus höchst angenehmen Anlass: Oriana Ferlazzo und Ivano Barbieri gesellen sich zu uns. Sie teilen diese Nacht das Zimmer mit uns und gehen den Giro di Viso in umgekehrter Richtung. Er ist ein Globetrotter sondersgleichen, schwärmt von Bayerns Märchenkönig Ludwig II. („Re Ludovico“) und zeigt uns auf seinem Handy tolle Instagram-Fotos aus aller Herren Länder, sie ist Sizilianerin und lehrt in Mailand diverse Fremdsprachen. Ihr Deutsch ist ganz hervorragend, wir tauschen schöne Erinnerungen an ihre wundervolle Heimat aus, und so vergeht die Zeit wie im Flug – sowohl vor dem guten Abendessen (Minestrone und danach eine herrliche grüne Frittata) als auch danach. Zufrieden und müde geht es dann ins Bett.
Erlebt am Mittwoch, 7. und Donnerstag, 8. Juli 2021
Statistik:
Länge: 7,5 Kilometer
Dauer: fünf Stunden
Höhenunterschied: 1050 Meter bergauf/30 Meter bergab
Höchster Punkt: 2662 Meter
tiefster Punkt: 1714 Meter
Hier der detaillierte Info-Link zu Alpenverein aktiv:
Und hier die restlichen Etappen des Giro di Viso:
https://www.juergengerrmann.eu/2021/08/giro-di-viso-2021-3-zum-refuge-du-viso/
https://www.juergengerrmann.eu/2021/08/giro-di-viso-4-durch-den-aeltesten-alpentunnel/