Vier Tage voller toller Eindrücke prägen den Giro di Viso in den Cottischen Alpen rund um den Monviso (den „heiligen Berg“ des Piemont). Das spürten wir auch auf der letzten Etappe unserer Rundtour.
Ein karges Frühstück nach einer kurzen Nacht im Refuge du Viso: altbackenes Brot, an dem ich mir schier die Zähne ausbeiße plus wunderbare Marmelade (hausgemacht). Ungewohnt, aber es entspricht genau der Philosophie dieser Hütte: Energieautonomie, Regionalität, Bio, kein Müll. Und ich nehme mir vor, darüber noch ein eigenes Kapitel im Blog zu schreiben. Anselm, der Wirt, und sein Team habe das verdient. Und ich wundere mich, was man alles mit Genuss essen kann, wenn nichts anderes da ist.
Heute kommen wir tatsächlich viel früher weg als sonst – zur Begeisterung von Christine schon um 8.15 Uhr. Mir ist das freilich weniger angenehm, denn der erste Aufstieg Richtung Col de la Traversette liegt im Schatten, ich bin erstaunt, wie affenkalt es auch im Sommer auf 2500 Metern zu sein vermag. Ich friere mir schier die Finger ab und kann verstehen, wenn der Alpenverein auch für Touren in dieser Jahreszeit „leichte Handschuhe“ mitzunehmen empfiehlt. Ich freilich bin dieser Empfehlung nicht gefolgt.
Als wir auf etwa 2600 Meter sind, kann ich dann endlich in der Sonne stehen – und traue meinen Augen kaum: Vor uns auf dem Grat präsentieren sich wieder zwei Steinböcke. Und ihre Hörner sind noch gewaltiger als die am Rifugio Quintino Sella vor zwei Tagen! Vielleicht begegnen wir hier der Seniorenabteilung. Christine geht noch näher hin und sieht von einem Abzweig des Wanderwegs ein ganzes Rudel. Allerdings nur Männer und alle mit Riesenhörnern. Also doch Steinbock-Seniorenstift!
Für 800 Meter geht es nun relativ sanft bergan, und dann sind wir für unsere Verhältnisse bemerkenswert schnell am Buco del Viso. Die Freude ist groß, denn ich höre plötzlich meinen Namen rufen – und sehe Marco, den Partner meiner Nichte Manuela, deren Töchter Eleonora und Sophia, Marcos Sohn Giorgio und dessen Freund Alessandro vor mir. Sie wollten uns eigentlich schon am Tag zuvor treffen, aber im Refuge du Viso war kein Platz mehr frei. Dafür sind sie heute schon in aller Frühe aufgestanden und haben sich auf den weiten Weg von Trofarello bei Turin zum Pian del Re gemacht und sind dann noch zwei Stunden aufgestiegen. Alle Achtung!
Noch ein letzter Blick zurück auf die französische Seite des Monviso mit dem Naturpark Queyras, der uns auch begeistert hat, dann geht es zurück durch den Buco del Viso, einen 1480 (also ausgangs des Mittelalters!) erbauten Tunnel – den ersten der Alpen überhaupt. Eine technische Meisterleistung damals. Vermutlich wollte man den Salztransport von Italien nach Frankreich (oder innerhalb Savoyens, das damals auch beiden Seiten lag) vereinfachen.
Ein tiefes Erlebnis, auch wenn es nicht mal eine Minute dauert, bis wir durch das Dunkel hindurch und wieder im Piemont. Aber dann lacht uns wieder die italienische Sonne entgegen, und an einer alten Militärstellung aus der Mussolini-Zeit ist dann das Familientreffen komplett: Auch Manuela sowie ihr Bruder Andrea mit seiner Frau Anna und deren Sohn Matteo aus Condove im Susatal haben sich hier hoch gekämpft.
Wir warten vor dem Gemäuer, das ebenso wie der Stacheldraht, von dem unbenutzte Rollen immer wieder am Rande des Weges vor sich hinrosten, einem bewußt macht, wie sinnlos diese ganze Kriegstreiberei war und ist, die Europa in den Abgrund gestürzt hat, bis alle oben am Buco waren und wieder herunterkommen und gehen dann gemeinsam hinunter, begleitet von Freunden von Anna und Andrea, mit denen wir uns auch sofort gut verstehen. Welche Freude – seit der Beerdigung meiner Schwester Elke haben wir uns nicht mehr gesehen! Und das sind schon mehr als fünf Jahre…
Hinunter zum Pian del Re lassen wir es gemütlich angehen. Und dort auf der Hochebene muß natürlich noch ein Abstecher zu einem anderen „heiligen Platz“ sein: der Quelle des Po! Und ohne das obligatorische Kuss-Foto geht es natürlich auch nicht. Schließlich soll das ja Glück bringen.
Anna und Andrea fahren nun mit uns runter zu unserem Quartier im Rifugio auf der Pian della Regina, sie und ihre Freunde essen noch eine Kleinigkeit auf der Terrasse, bevor sie sich dann auf den Heimweg machen. Schließlich wollen sie rechtzeitig zum Fußball-EM-Endspiel zwischen Italien und England daheim sein.
Wir zwei genießen dann mit gerade mal drei anderen Gästen (die Italiener sitzen wohl heute alle vor dem Fernseher) das Abendmenu: wieder tolle Vorspeisen, die obligatorische Polenta mit Würstle und Käse sowie Panna Cotta mit Creme Caramel und Mini-Feige.
Dann bin ich müde und gehe ins Bett. Vom Sieg der Italiener erfahre ich erst, als ich kurz nach Mitternacht aufwache und nachschaue.
Und ich freue mich sehr.
Statistik
Länge: 11 km
Dauer: etwa 6 Stunden
Höhenunterschiede: 950 Meter bergauf / 1360 Meter bergab
höchster Punkt: 2994 Meter
tiefster Punkt: 2018 Meter
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Hier die restlichen Etappen des Giro di Viso: