Wie gut, daß es doch die guten alten Notizbücher gibt. So können wunderschöne Erinnerungen wieder wach werden – wie an unsere herrliche Wanderung auf der Grande Traversata delle Alpi (GTA) durch Piemont im Sommer 2012. Dieser Tagebucheintrag stammt zum Beispiel vom 18. Juli.
Der Morgen beginnt mit einem Nervenkitzel. Roberta von der Locanda Pian della Regina läßt sich zwar die Rechnung per Kreditkarte bezahlen, aber Bargeld gibt sie uns nicht. Auch für die erhoffte Autofahrt nach Crissolo, wo der nächste Bankomat steht, findet sich niemand. Mist!
Aber Roberta telefoniert herum. Und unglaublich: Der Hüttenwirt unseres Tagesziels, des Rifugio Barbara Lowrie, erklärt sich sofort bereit, daß wir die Sache auch überweisen können. So ein Vertrauen kann ich in der heutigen Zeit kaum fassen!
So laufen wir dann doch beruhigt, ja fast beschwingt, los – obwohl es jetzt erst mal 800 Höhenmeter nur bergauf geht.
Aber merkwürdig: Irgendwie läuft es heute fast wie von selbst. Zum ersten Mal auf dieser Tour habe ich das Gefühl, daß es „mich geht“. Ich sammle Höhenmeter um Höhenmeter, das Profil der Strecke kommt mir heute sehr entgegen, es gibt ausreichend Wasser, die Grasmatten der Cassera Sbiasere snd in ein Blütenmeer getaucht. Etwa 100 Höhenmeter unter dem Colle della Gianna schlucke ich zwar erst einmal, weil ich erst mal wieder denke, ich müsse eine senkrechte Hauswand hoch – aber auch die hab ich in ein paar Minuten gepackt. Nun stehe ich auf 2525 Metern.
Vom Tal her habe ich höchstens die zweieinhalb Stunden, die auf dem Wander-Schild stehen, gebraucht. Ich habe nicht so genau auf die Uhr gesehen, als ich los ging. Ist ja aber auch Wurst, auch so ist die Zuversicht wieder da. Ich hatte schon Angst, meine Kondition sei nach der Quälerei der ersten beiden Tage total im Keller. Heute morgen habe ich mir erst einmal das Gegenteil bewiesen.
Am zugigen Gipfel nehmen wir unsere Speck-Jause ein, dann wartet gleich ein Mords-Gefälle. Aber auch das packe ich erstaunlich gut. An einer Quelle in der Senke füllen wir unsere Flaschen wieder auf, dann folgt der letzte kurze Anstieg – und als wir oben ankommen, haben wir wieder den tollen Blick auf Monte Rosa, Matterhorn und Gran Paradiso.
Nun beginnt der große Abstieg, vor dem ich schon ein bißchen Muffe habe. Es geht leichter als gestern – aber nicht leicht. Jeder Schritt will wegen meiner Knieschmerzen halt bedacht sein, und meine Sohlen brennen.
Am Colle Proussera (2198 Meter) reicht es mir erst mal, wir machen Pause. Zunächst therapiert Christine meine müden Glieder mit Traumeel-Massage, dann schlafen wir eine Runde, dann geht es weiter – und wie!
Die Therapie hat angeschlagen, und der Weg durch fantastischen Lärchenwald beflügelt mich. Wie herrlich ist es doch hier! Der Höhenmesser tickt in fast atemberaubenden Tempo rückwärts: 6, 8, 10 Meter pro Minute. Und in nicht einmal einer Stunde sind wir an der gemütlichen Barbara Lowrie-Hütte auf einer traumhaften Hochebene.
Gegangen am Mittwoch, 18. Juli 2012
gut acht Kilometer
je 800 Höhenmeter auf und ab.
Start: 10 Uhr/Ziel: 18 Uhr