Corona ist auch ein Anlass, dankbar auf das zurückzuschauen, was man schon erlebt hat. Zum Beispiel am 25. Oktober 2018 im Kunsthistorischen Museum Wien. Dort lief gerade eine fantastische Ausstellung, die die Massen anzog. Und bei mir heute noch Spuren hinterlassen hat.
Heißt er nun Brueghel oder Breughel, spricht man ihn nun Brügel oder Breugel (wie ich mich an meine Schulzeit zu erinnern glaube), aus? Egal! Wir haben nun eine Eintrittskarte ergattert und ich gehe langsamer als die meisten anderen auf den so wunderbar knarzenden Holzfußboden des 1891 eröffneten Gebäudes an den Bildern an den Wänden und den Vitrinen vorbei. Dieses Geräusch höre ich noch heute, wenn ich auf meine Aufzeichnungen von diesem Tag blicke.
An den Wänden hängen die großen, weltberühmten Gemälde. Mich aber fasziniert die Vitrine mit eher kleinen Kupferstichen. Pieter van der Heyden wird nämlich als Künstler genannt. Zusatz: „nach Pieter Bruegel d. Ä.“. 1557 wurde dieses Bild erstmals veröffentlicht. Vor fast 500 Jahren. Exakt vor jetzt 464.
Was hat sich seither verändert? Oder hat sich überhaupt etwas verändert? Schauen wir also mal etwas genauer hin.
„Ecce!“ sagt ja auch der Vater dem Sohn am unteren Bildrand: „Schau hin!“ Schon vor einem halben Jahrtausend dürfte der Titel des Bildes ein Sprichwort gewesen sein, das wie ich vermute schon damals über Jahrhunderte bekannt war: „Die großen Fische fressen die kleinen.“
Ändert sich also nie was? Könnte man es gleich lassen, sich für eine bessere (oder zumindest andere) Welt einzusetzen?
Immerhin sieht man am oberen Rand einen Mann, der sich an dem Fischriesen zu schaffen macht. Hat er ihn getötet? Ein bisschen schwierig für einen einzelnen Mann. Schlachtet er ihn nur aus?
Aus dem Leib des Monsters quellen immer mehr Fische, die ihrerseits wiederum noch kleinere Fische verschlungen haben: ein Symbol für den Turbokapitalismus, die Machtkonzentration der Großkonzerne, die heute auch über alle Weltmeere zu ihren Raubzügen ausschwärmen, alles schlucken, was ihnen vors Maul kommt – und sich dennoch nie verschlucken können?
Zunächst kommen die kleinen dran, die oft nicht gleich von den ganz großen, sondern von dem mittleren gefressen werden – aber auch die freuen sich nicht lange dran. Vor ihrem vermeintlich natürlichen Tod werden sie selbst verschluckt. Obwohl auch sie in ihrer Gier sich das vermutlich nie hätten vorstellen können.
Ist es ein heilloses Bild? Oder ein tröstliches? Ich weiß es nicht. „Eines Tages erwischt es auch den Riesenfisch“, sage ich mir.
Aber zur Wahrheit gehört ja auch: Es schwimmen noch andere Monster durch die globalisierten Weltmeere. Und wenn nicht, wächst ein Mittlerer zu einem neuen Riesen heran. Weil er frisst und frisst und frisst…
Und nicht merkt, wann er sich überfressen hat…
Niedergeschrieben am 25. Oktober 2018 in der Ausstellung „Bruegel. Once in a Lifetime“ im Kunsthistorischen Museum zu Wien.