Corona bremst einen ein. Corona verhindert viel. Aber es gibt auch neue Chancen: Zum Beispiel einfach mal innezuhalten, Dinge niederzuschreiben, die man schon lange wollte und die dann doch in der Hektik des Alltags ins Hintertreffen gerieten und dann vergessen wurden. Und dabei waren sie doch so schön. Also nehme ich jetzt einfach meine Erinnerungen und Notizen heraus und lasse all das Schöne neu aufleben – wie hier die 13. Etappe auf unserer Via Transalpina im ach so heißen Sommer 2018.
Welch herrlicher Start in den Tag! Wie von Alessandro Cuffolo, unserem Hüttenwirt, vorhergesagt gibt es zunächst nur einen kurzen Anstieg zur Punta Lausciovizza (die slowenischen Namen häufen sich nun entlang unserer Tour) – und wartet ein fantastischer Blick auf die Landschaft, die sich in Richtung Meer erstreckt: rechts die Tiefebene, links die mehr oder minder hohen Berge und Hügel, die entlang der slowenischen Grenze noch auf uns warten. Das weckt so richtig Vorfreude und läßt ahnen: Bald haben wir es geschafft…
Und während wir eine gute Stunde lang die Wanderung auf dem Grat zur Punta Montemaggiore genießen und dabei immer wieder voller Staunen auf das zurückblicken, was wir in diesem und all den vergangenen Jahren schon geschafft haben, mach uns auch die Hitze noch nicht viel aus. Auf dem Montemaggiore legen wir noch eine Genuss-Rast ein.
Allerdings sollten wir auch hier von den Mücken vertrieben werden, die uns für den ganzen Rest der Via Transalpina zu ständigen und unerwünschten Begleitern werden sollen.
Daß es ein Insektensterben geben soll, kann ich mir da beim besten Willen nicht vorstellen.
Alessandro hat uns für diesen Tag zwei Übernachtungsmöglichkeiten genannt. Nach einem langen Abstieg über einen früheren Maultierpfad, der aber ziemlich zugewachsen ist und dadurch davon erzählt, daß er ziemlich wenig begangen ist, erreichen wir tatsächlich ziemlich früh die erste: Das Dörfchen Montemaggiore wurde vom Erdbeben in Friaul 1976 schwer gebeutelt: So ziemlich alle Häuser inclusive der Kirche sind neu.
Aber immerhin gibt es noch eine Trattoria mit dem auf diesem verlassenen Fleckchen Erde eher unerwarteten Namen „Monte Carlo„. Als wir eintreten, sitzt ein Mann auf einem Sofa und sieht fern, den ich im ersten Moment für den Opa halte und nicht stören will. Indes: Es ist Augusto, der Wirt, der das Lokal mit seiner offenkundig viel jüngeren russischen Frau betreibt. Sie ist allerdings nicht anwesend. Augusto spricht sehr gut Deutsch, hat lange Jahre in Zürich gearbeitet (nach einem mißlungenen Versuch in Brasilien, den er wegen Portugiesisch- und Spanisch-Schwierigkeiten abbrach. In der Rente ist er nun wieder in seiner friulanischen Heimat.
Sieben Leute leben während des Winters noch im Dorf. Was wird wohl werden, wenn auch diese Unterkunftsmöglichkeit für Wanderer schließt? Das ist ein großes Problem, dessen sich das Team des Via Transalpina-Projekts dringend annehmen sollte.
Wir widerstehen nach einigen Lemonsoda aus Dosen mit Super-Man und Super-Woman dem Versuch Augustos, uns zum Bleiben zu überreden und seine Gäste-Statistik aufzubessern. Denn wir fühlen uns noch gut und glauben, daß wir die Strecke bis zum zweiten Ziel Prossenicco gut schaffen. Ein Quartier haben wir noch nicht, weil das Telefonnetz hier eine Katastrophe ist. Als ich endlich Alan Cecutti erreiche, kriege ich erstmal einen Schock: Sein Agriturismo Brez Mej hat heute geschlossen! Und wir sind schon eine halbe Stunde ins Tal abgestiegen! „Jetzt müssen wir doch noch zurück zu Augusto“, schwant es mir.
Doch Alan, der nicht nur Wirt, sondern auch Bürgermeister ist, gibt Entwarnung: „Keine Sorge! Wir haben noch die Osteria Al Centro. Ich ruf dort für Euch an. Das klappt schon!“ Und obwohl uns wieder ein Gewitter überfällt, die Wegmarkierung hundsmiserabel ist und wir erst nach dem richtigen Weg fahnden müssen (dank der Via Transalpina-App und Komoot gleichzeitig schaffen wir es) ficht uns beides nicht groß an. Denn dort, wo Rio Bianco und Rio Nero sich zum Natisone vereinigen, sind wir zum ersten Mal ganz nah an der slowenischen Grenze, die in der Flußmitte verläuft. Da ist es klar, daß wir kurz über die Vittorio-Emanuele-Brücke (die einzige Verbindung weit und breit) aufs andere Ufer und vor dem Staatsschild ein Selfie machen müssen – trotz müder Knochen…
Die werden allerdings sehr beansprucht, als wir uns dann dem Schlußanstieg nach Prossenicco hochkämpfen. Erst freuen wir uns, daß wir von der Straße weg und auf einen Waldweg können, aber dann müssen wir konstatieren, daß hier wohl irgendwelche Forstmaschinen im Einsatz waren. Auf jeden Fall ist das Erdreich aufgewühlt, der Lehm klebt übel an unseren Wanderstiefeln. Da sind wir heilfroh, endlich im Dorf anzukommen und unsere Rucksäcke im früheren Schulhaus, das nun zum Quartier für Wanderer und andere Urlauber avanciert ist, abzustellen.
Wir gehen noch in die gemütliche Osteria Al Centro mit ihrer rund 80-jährigen Feuerstelle, über der früher gekocht wurde und um die im Winter heute noch die Leute sitzen und sich auf der mit ihr verbundenen Ofenbank wärmen.
Und wir essen bei der Familie Melissa („Der Name kommt aus dem Griechischen und bedeutet Biene“, klärt uns die Chefin auf) ganz hervorragend: Christine Frico, ich Hähnchenbrustroulade, wir beide dazu ein herrliches Paprikagemüse (Peperonata). Als wir den Weg ins Quartier antreten, sitzen dort die Einheimischen schon an den für das Dorffest am nächsten Wochenende vorbereiteten Tischen und genießen den Abend. Die Osteria ist offensichtlich immer noch Treffpunkt für das ganze Dorf – und mittendrin in der fröhlichen Gesellschaft ist Alan, der uns sofort erkennt und uns aufs Freundlichste begrüßt.
Er ist für seine 700 Bürger, die auf der riesigen Fläche der Großgemeinde Taipana verteilt leben, offenkundig ein vorbildlicher Bürgermeister und gönnt auch seiner Wirts-Kollegin etwas. Die sagt ohnehin zu uns: „Wir sind hier nur noch ein kleiner Haufen. Da wäre es doch verrückt, wenn wir gegeneinander Krieg führen würden.“
Recht hat sie. Und recht tut er.
Erlebt am 30. Juli 2018
Informationen zur Region: http://www.turismofvg.it