Corona bremst einen ein. Corona verhindert viel. Aber es gibt auch neue Chancen: Zum Beispiel einfach mal innezuhalten, Dinge niederzuschreiben, die man schon lange wollte und die dann doch in der Hektik des Alltags ins Hintertreffen gerieten und dann vergessen wurden. Und dabei waren sie doch so schön. Also nehme ich jetzt einfach meine Erinnerungen und Notizen heraus und lasse all das Schöne neu aufleben – wie hier die 12. Etappe auf unserer Via Transalpina im ach so heißen Sommer 2018.

Die Etappe zuvor könnt Ihr ganz einfach auf meinem Blog nachlesen – und zwar hier.

Aber nun geht es weiter – endlich:

Um 8 Uhr morgens ist Maria, unsere Wirtin von der Baita Al Taj,  schon wieder da, macht uns beiden plus Lehel, dem rumänischen Marathon-Radler Frühstück, verabschiedet uns voller Herzlichkeit, erzählt, daß sie selbst Pilgerin ist (deswegen hat sie auch für den Cammino Celeste vom Meer bis nach Kärnten das Lager bereit gestellt) und empfiehlt uns den Jakobsweg auf dem Cammino del Nord nach Santiago de Compostela, der verlaufe so schön zwischen Eukalyptuswäldern und dem Atlantik.

Wir aber müssen (oder besser: wollen) erst einmal unsere Via Transalpina hinter uns bringen.

Kunstvolle Netze am Wegesrand.

Ich lobpreise (obwohl ich Pazifist bin) die Leistungen der alten Militär-Straßenbauer. Dank ihnen können wir nun nach über hundert Jahren ziemlich bequem die Casera Nischiuarch erreichen. Auf der früheren Alm ist nun ein Ricovero (also ein Notquartier), das von Beppe Biasizzo liebevoll betreut wird.

Im Ruhestand arbeitet er ehrenamtlich für den Naturpark Julische Voralpen und kümmert sich engagiert um die toll eingerichtete Hütte.

Als er seine Aufgabe übernahm, war sie quasi leer, erzählt er uns. Dann hat er sich ans Betteln gemacht: Betten, Schränke, Decken, und so weiter und so fort. Er kümmert sich auch darum, daß die müden Wanderer etwas vorfinden, kredenzt uns Kaffee, schenkt mir einen Becher Wein ein. Er hat sichtlich gerne Gesellschaft und teilt ebenso gerne seine Zeit mit uns.

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Das Rifugio Nischiuarch ist sein Leben: Beppe Biasizzo kümmert sich liebevoll um die Notunterkunft für Wanderer.

Und so können wir uns nur schwer von Beppe trennen, der übrigens keine Bezahlung für seine Arbeit erhält. Im Gegenteil. Er legt sogar noch was drauf – denn auch das Fahrgeld oder die Grundnahrungsmittel, die er mit hochbringt, ersetzt ihm keiner. Wahrlich ein Vorbild – auch wegen seiner Fröhlichkeit.

Der Abstieg hinunter zum Tanamea-Pass bereitet uns keine Schwierigkeit, wir sind offensichtlich gut drauf. Aber wir merken auch heute, wie wasserarm die Julischen Voralpen sind. In den meisten Bächen, die auf der Karte eingezeichnet sind, befindet sich kein Tropfen mehr, der Rio Bianco unterhalb der Passstraße, die zu meinem Ärger auch schon von Motorradfahrern entdeckt worden ist, liegt in einer unerreichbaren Tiefe in einer Schlucht.

Spuren des Ersten Weltkriegs am Tanamea-Pass.

Aber gottlob haben wir genügend dabei – auch weil uns Beppe vorbereitet und auch noch eine Flasche Wasser mitgegeben hat. Die Rast verbringen wir auf der Passhöhe in der Nähe einer (wie ich vermute) aufgegebenen Unterkunft der italienischen Grenzschützer, auf dem Weiterweg schließt unser Hund Arco noch Bekanntschaft mit einem (gottseidank weiblichen) Hirtenhund der Maremma-Rasse. Die großen weißen Tiere werden in Arcos Heimat Piemont gegen die Wölfe eingesetzt, hier schützen sie unter anderem elf Esel, die für ein naturpädagogisches Projekt auf dem Gelände eines früheren Munitionsdepots der Alpini gehalten werden, vor den slowenischen Bären-Männern, die auf ihren Streifzügen hier durch die Täler ziehen. Die Weibchen bleiben drüben über der Grenze, erzählt uns der junge Mann, der die Menagerie betreut. Wölfe gebe es hier nicht. Noch nicht. Aber sie werden kommen, ist er überzeugt: „Bei Pordenone hat man die ersten Jungtiere fotografiert.“

Aber Angst oder gar Panik wie zuweilen in Deutschland spricht nicht aus seiner Stimme. Es ist eine nüchterne Feststellung.

Nur 300 Meter später bricht dann aus einem Italiener die pure Euphorie heraus: „La Grande Germania!“, ruft er mehrmals aus. Was der Retner aus Spilimbergo mit seiner fantastischen Mosaikkunst so in Begeisterung versetzt, ist Fußball.  „8. Juli 2014!“ Er kann (im Gegensatz zu mir) noch genau den Tag sagen, an dem Jogi Löws Jungs die Brasilianer in deren Heimat mit 7:1 aus der WM warfen. Daß es diesmal in Russland nicht geklappt habe – na gut, das sei eben so. Das 7:1 aber, das werde nie vergessen. Eine Sache für die Ewigkeit:: „La Grande Germania!“

Für uns allerdings beginnt jetzt erst einmal der Kampf mit den Höhenmetern.

Nochmal Kriegsspuren am Weg bergauf.

Wobei auch eine gehörige Portion Verwirrung mitspielt: Ricovero Montemaggiore steht auf meiner Karte, auf den Hinweisschildern am Wegrand steht aber oft nur Rifugio Monteaperta – wie sich später herausstellt, ist das ein und dasselbe.

Wir sind heute allein mit Alessandro Cuffolo – einem jungen Mann, der gern Nachfolger der Legende Ivano Carloni werden würde, der dieses frühere Militärkrankenhaus aus dem Ersten Weltkrieg vor dem Verfall gerettet und als Hüttenwirt mehr als ein Jahrzehnt betreut hatte. Nun hat er sich zum Großteil zur Ruhe gesetzt, Alessandro absolviert so etwas wie ein Praktikantenjahr an seiner Seite (Ivano kommt nur bei größeren Einsätzen, und die sind heute wahrlich nicht zu erwarten), im Herbst will die Vereinigung der Ex-Alpini von Monteaperta dann entscheiden, ob er auch offiziell Hüttenwirt sein darf. So wie er sich um uns kümmert, kann man ihm das nur wünschen.

Unser Nachtquartier für heute: das Rifugio Monteaperta.

Die Aufgabe, der er sich stellen will, ist dabei nicht leicht: 130 Soldaten waren dereinst in dem als Lazarett geplanten Bau untergebracht (seinen eigentlichen Zweck erfüllte es indes nie) – entsprechend viele Räume und entsprechend viel zu tun gibt es hier.

Aber er klagt nicht, lebt in stiller Fröhlichkeit und großer Freundlichkeit in dieser Bergeinsamkeit, die ihm doch viel besser behagt als der Lärm drunten in der Stadt.

Ein toller Hüttenwirt: Alessandro Cuffolo (hier mit Christine).

Alessandro ist auch ein ebenso begeisterter wie begabter Naturfotograf. Während des Abendessens, zu dem er sich gern zu uns setzt, zeigt er uns immer wieder tolle Fotos, die er in den Bergen Friauls und im nahen Slowenien aufgenommen hat. Und er leiht uns auch sein Fernglas, so daß wir noch fünf Gämsen beobachten können, die über das Geröllfeld gegenüber ziehen und sich im Buschwerk gegenüber ihr Nachtquartier suchen.

Auch wir sitzen noch lange draußen und warten auf die ersten Sterne am Nachthimmel.

Es wird Abend in den Friulanischen Alpen.

Erlebt am 29. Juli 2018

Informationen zur Region: http://www.turismofvg.it