Seit etwa 36 Stunden sind wir ins Reich der Unmöglichkeit eingetaucht. Wir erleben etwas, von dem ich dachte, daß es das nicht geben kann: Schlechtwetter auf Sizilien. Das soll noch eine Weile so bleiben. Aber schöne Erinnerungen helfen einem ja über eine solche Phase hinweg. Wie an unseren letzten Abend in Palermo.
Aber zunächst ein Update zum vorausgegangenen Blog-Artikel: Ihr wartet sicher auf die Nachricht, was denn die Carabinieri von uns wollten. Die hatten sich ja für vorgestern 16 Uhr angesagt. Aber es blieb bei der Ansage. Als Deutscher habe ich natürlich brav die Anordnung der Obrigkeit befolgt und auf die Ordnungshüter gewartet.
Das warten dauert nun exakt 44 Stunden. Niemand ist bislang erschienen. Und keiner weiß warum. Italien live!
Vielleicht lag es ja an dem Dauerregen, der gestern den ganzen Tag und dann die Nacht darauf niederprasselte. Da jagt man schließlich keinen Hund vor die Tür! Geschweige denn einen Carabiniere!
Auch wenn jetzt der Regen eine kleine Pause zu machen scheint: Die Wolken ziehen weiter von den Bergen des Nationalparks Zingaro über unseren Campingplatz El Bahira hinunter zum Golf von Macari, wo der Wind sich überlegt, ob er zum Sturm werden soll, und auf jeden Fall die Wellen gewaltigst peitscht. Auf Windstärke 5 bis 6 schätzen unsere aus dem Norden stammenden Nachbarn die See.
Also ideale Verhältnisse, um unsere Quarantäne in unserem hervorragenden Ford Transit Euroline zu verlegen. Obwohl nun, da wir nichts mehr im Freien „zwischenlagern“ können, schon spüren, wie klein dieses Domizil in solchen Situationen dann doch ist.
Aber wir haben ja schöne Erinnerungen, von denen wir zehren können. Und irgendwann ist ja diese Krise dann ja auch mal vorbei. Und die eine oder der andere von Euch vielleicht dankbar für einen Tipp.
Unser Ziel an unserem letzten Abend in Palermo würde ich auf jeden Fall weiter empfehlen. Daß wir dort landen würden, hätten wir nicht erwartet.
Wir hatten bei unserer Kultur-Tour den ganzen Tag über nichts gegessen. Und daher einen Bärenhunger. Aber alle Lokale, die in unserem Sizilien-Reiseführer aus dem Michael Müller Verlag empfohlen waren (Thomas Schröder gibt dort immer sehr gute und verlässliche Tipps), waren am Sonntag um 18 Uhr entweder geschlossen oder machten erst später auf.
Also gingen wir Richtung Vucciria – dem Markt, nach dem mein sizilianischer Freund Giuseppe Perna, der nun in Graz lebt, seine tolle Band benannt hat.
Am Abend zuvor herrschte dort pulsierendes Leben, man spürte, daß dort das Herz des Nachtlebens der sizilianischen Metropole schlägt.
Von Markt war dort wenig zu spüren (das schönere Flair gibt es meiner Meinung nach im nahen Ballaro), es handelte sich mehr um eine Partymeile.
Ein Imbiss-Stand am anderen (hauptsächlich im arabischen Stil), eine Bar an der anderen, vor allem ein Ristorante am anderen – inclusive der Ober, die einen auf Schritt und Tritt ansprechen, daß man nun unbedingt in ihr Lokal muß.
Ehrlich gesagt: Mein Ding war das zumindest an einem Samstagabend nicht. Zuviel Remmidemmi, zu wenig echte Marktstände.
Und ich war heilfroh, als ich dann am anderen Ende an dem wunderschönen Platz an der Chiesa San Domenico ankam und raus aus dem Trubel war.
Aber ein Foto von den typischen palermitanischen Kappen mußte ich dann doch machen. Jetzt, wo alles geschlossen ist, ärgere ich mich, daß ich keine gekauft habe. Die hätten sicher gut zu mir gepasst.
Nun aber ist Sonntag. Kurz nach 18 Uhr. Und wir biegen an der Via Argenteria („Straße der Silberschmiede“) um die Ecke auf den Platz am Anfang der Vucciria ein. Ich traue meinen Augen und meiner Nase nicht: Dort, wo gestern Abend sich noch die Menschen drängten und einen der Geruch von Kebab umhüllte – herrscht absolut tote Hose.
Ein Stück weit rechts, gleich zu Beginn der Via der Coltellieri („Straße der Messerschmiede“) sehe ich die Vecchia Trattoria da Toto. Wir schauen durchs Fenster. Eigentlich sind wir des Suchens müde. Haben Hunger. Aber kein Mensch drin. Kann das was sein? Sollen wir dort hinein? Zumal die Tische und Stühle einen eher abgewetzten Eindruck machen.
Ich frage Christine: „Was meinst …“
Und schon ist es zu spät!
Der Wirt reißt die Tür auf, steht vor uns: „Benvenuti! Bitte kommt herein!“ Ferdinando (wenn ich mich recht erinnere) duldet keinen Widerspruch, weist uns einen Tisch zu, bringt rechtschaffen zerfledderte Speisekarten, mit denen wir nicht viel anfangen können, weil für uns die hauchfeinen Unterschiede zwischen Pasta Palermitana und Pasta Trapanese eh ein Buch mit sieben Siegeln ist.
Auch das Gespräch ist Ferdinando verläuft zunächst ziemlich zäh, weil sein sizilianischer Einschlag in meinen ans noble piemontesische Italienisch gewohnte Ohren doch sehr ungewohnt klingt. Zumal, wenn es so schnell gesprochen wird wie im Moment.
Sei‘s drum: Lang zu überlegen bringt eh nix. Also: Einfach einen Vorspeisenteller! Und dann zweimal Pasta. Zwei unterschiedliche. Einmal Palermitana. Und einmal mit Thunfisch.
Wo sind wir nur hier gelandet? Also Ferdinando den Vorspeisenteller bringt, wird klar: in einer Super-Trattoria!
Lauter leckere Sachen lassen uns das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Gemüse, Fisch, eine Art Tarte – alles frisch zubereitet. Und während wir unseren ersten Gang zu uns nehmen, setzt sich Ferdinando mit seinem Mitarbeiter an den Nebentisch. Sie wollen wohl essen, so lange es noch ruhig ist. Ein herrlicher Duft steigt uns in die Nase: „Dorade!“, erklären uns die zwei.
„Das hätten wir uns auch bestellen können“, denke ich mir heute. Denn immer wieder überfallen mich dann doch diese Hätte-hätte-Fahrradkette-Momente: Hätte ich doch mehr Arancini (Reisbällchen)-Varianten probiert! Hätte ich doch öfter eine Bar aufgesucht! Hätte ich doch eine der Kappen gekauft! Hätte ich mir doch häufiger ein typisches sizilianisches Eis gegönnt! Hätte ich doch den Besuch beim Barbiere nicht immer wieder hinausgeschoben! Denn all das geht nun nicht mehr.
Doch nun genug der trüben und tristen Gedanken. Freuen wir uns an den Erinnerungen. Auch daran, daß wir für Ferdinando wohl auch ein Glücksfall waren: ideale Lockvögel an einem Abend mit schwachem Umsatz. Denn dank uns ist das Lokal nicht mehr leer, wir machen zudem zufriedene Gesichter, die sich auch in dem Foto widerspiegeln, das der Wirt von uns macht.
Und so füllt sich die Trattoria mehr und mehr: Erst kommt eine italienische Dame (ich nehme an, sie ist Stammgast), die sich einen halben Liter Rotwein, Muscheln und eine Fischplatte bringen läßt. Dann zwei Touristen aus Skandinavien, dann noch zwei, deren Herkunft ich nicht einschätzen kann, weil sie es trotz der kühlen Witterung vorziehen, draußen auf der Gasse sitzen zu bleiben und die (wenigen) Flaneure zu beobachten.
Wir sind mittlerweile bei der Pasta angelangt. Ich hatte gar nicht so richtig registriert, daß zur Palermitana außer herrlichen Pinienkernen auch Acciughe (Sardinen) gehören. Gottseidank habe ich das verdrängt, denn als Fisch-Skeptiker hätte ich das wohl sonst gar nicht bestellt. Schmeckt aber echt prima.
Und Christine ist eh begeistert von ihrem Thunfisch.
Als Ferdinando die (handgeschriebene) Rechnung bringt, bin ich positiv überrascht: Ich weiß die Summe nicht mehr genau (ich glaube 24 Euro inclusive Wein und Wasser) – auf jeden Fall war es für diesen touristischen Hotspot und die Qualität erstaunlich günstig.
An den Wänden hängen alte Zeitungsausschnitte, die von der langen Tradition der Trattoria zeugen. Und Christine fallen als Künstlerin natürlich sofort auch die Original-Karikaturen und Gemälde auf. Ich bitte beim Abschied Ferdinando, ihn fotografieren zu dürfen. „Komm da rüber!“, sagt er zu mir. Und stellt sich unter ein großes Porträt. „Das ist Toto“, erklärt er: „Mein Großvater, der die Trattoria gegründet hat.“
Er ist sichtlich stolz auf seinen Opa. Und das kann er auch sein. Zumal er ein überaus würdiger Nachfahre ist.