Wir sind gestrandet. Unerwartet. Unverhofft. Und erst recht unerhofft. Auf Sizilien. Es gibt Schlimmeres im Leben.
Ziemlich exakt in der Mitte der Magna Via Francigena (einem wunderschönen Pilgerweg von Palermo nach Agrigent) wurden wir gestoppt. Kurz nachdem wir den Platani (einem im Sommer fast ausgetrockneten Fluss) in einer (für mich) ziemlich waghalsigen Aktion überschritten hatten.
Nirgendwo auf der Strecke gab es ein Quartier mehr für uns.
Nun sind wir auf dem Campingplatz El Bahira bei San Vito Lo Capo gelandet. Wie gesagt: Es gibt Schlimmeres.
Vor gut zwei Wochen haben wir noch herzlich gelacht. In der Gelateria Al Kassaro in der Via Vittorio Emanuele in Palermo haben wir die neueste Kreation probiert: Corona Virus. Hauptgeschmack: gebrannte Erdnüsse. Es hat einfach herrlich geschmeckt. „Toller Marketing-Gag“, hab ich mir noch gedacht. Mittlerweile ist vielen auf der Insel und in ganz Italien, ja ganz Europa und der ganzen Welt das Lachen vergangen.
Jetzt sitze ich unter den wild-romantischen Kletterfelsen am Campingplatz. Still ruht der See unter mir. Beziehungsweise das Meer. Ich sehe nur ein einziges kleines Fischerboot ganz in der Ferne. Sogar hier ist also der Verkehr zum Erliegen gekommen. Ich denke mir: Wenn uns schon ein einziges neues Virus so ins Schleudern bringt, daß alles stillsteht, dann ist die Globalisierung, die ich lange Zeit verteidigt habe, ein Irrweg. Wir müssen zurück zur Regionalität. Und zur menschlichen Nähe. Wie die uns fehlt, merken wir gerade jetzt, da sie so offensichtlich nicht mehr da ist. Das wird uns nun ganz exemplarisch vor Augen geführt.
So idyllisch es hier ist: Der Ärger der vergangenen Tage will nicht weichen. Jetzt kommt er ganz intensiv wieder hoch. Wem wird jetzt wieder zuerst geholfen? Den Banken! Und wer wird am Ende der Krise der Gewinner sein? Die Reichen, die sich nun in der Baisse mit billigen Aktien eindecken, damit sie in der Hausse noch reicher sind.
Die kleinen Gemüsehändler, die hier ihre Waren nicht mehr auf der Straße anbieten dürfen, die Barbesitzer in den kleinen Dörfern, die das soziale Miteinander noch aufrecht erhalten, die Familien, die nicht viel haben, aber sich mit einer Pizzeria oder Trattoria über Wasser halten – sie werden draufzahlen und eventuell sogar ihre Existenz verlieren. Auch das zeigt, wie krank dieses System ist – nicht nur gesundheitspolitisch.
Ich schaue hinaus auf den Golf von Macari und denke an die vielen wundervollen Menschen, die wir in Sizilien getroffen haben: An Silvana, die tagsüber in einem Hotel in Palermo arbeitet und uns abends in unserem Pilgerquartier ein fantastisches landestypisches Abendessen zubereitet hat. An Francesco, ihren Mann, der schon morgens um 4 in seine Backstube muß und uns, nachdem wir gestrandet sind, ganz selbstverständlich die Hausschlüssel überlässt, damit wir warm duschen und am nächsten Morgen gemütlich frühstücken können. An Franco mit seiner Pizzeria La Pineta, der kleine Sekunde zögerte, uns an seinem Ruhetag zweieinhalb Stunden durch die Pampa zurück zu fahren. Einfach so – „aus Freundschaft“, wie er sagt, bevor er sich auf die lange Stecke wieder zurück nach Sutera macht.
Das beschämt einen fast. Ob das in unserem reichen Deutschland, in unserem reichen Österreich auch für jemand, den er so gut gar nicht kennt, getan hätte? Ich habe da so meine Zweifel.
Jetzt hat Franco („Ich habe Deine tollen Fotos auf der Facebook-Seite der Amici der Magna Via Francigena immer genau verfolgt, bis Du bei uns Station gemacht hast“) Zwangspause.
Ich denke an sie alle, die uns mit ihrem großen sizilianischen Herzen beschenkt haben.
Und hoffe, daß ich nicht der einzige bin. Sondern sich die Mächtigen Europas genauso schnell und intensiv ihrer erinnern und sich um sie kümmern wie um die Banken und Großkonzerne.