Heute sollen wir eine brutale Etappe vor uns haben. Wie es sich am Abend herausstellt, stimmt die Vorhersage der App beziehungsweise meine Interpretation davon auch exakt.
Wobei am Anfang kaum etwas darauf hindeutet. Wir versorgen uns beim örtlichen Einzelhandel von Resiutta mit Getränken, Salami und Hundefutter, starten motiviert in den Tag, meistern den ersten Anstieg auf den Kalvarienberg von Resiutta prima, freuen uns dass wir einen eher gemütlichen Weg nach oben unter die Füße bekommen.
Dann lassen wir uns aber zu einer der berühmten „Abkürzungen“ verführen. Auf der Karte sieht das ganz locker aus und erweckt den Eindruck, als würden wir uns streckenmäßig einiges sparen – das mag zwar objektiv stimmen, subjektiv ist es aber der größte Blödsinn.
Der Weg reckt sich nämlich mit einer Steigung in die Höhe, die jedem Hausdach alle Ehre macht oder es sogar vor Neid erblassen lässt. So sammeln wir zwar Höhenmeter – aber um welchen Preis!
Oben auf der Höhe passieren wir ein Zementrondell, in dem ersten Weltkrieg wohl ein Geschütz um 360° gedreht werden konnte, so dass man in alle Richtungen zu feuern konnte je nachdem wie ist der so genannte „Kriegsgott“ angeblich wollte.
Aber dafür habe ich jetzt eigentlich gar keinen so rechten Kopf. Ich quäle mich nur Meter um Meter voran und hoffe, dass die Sache bald ein Ende hat. Oben auf der Höhe fallen wir nur noch ins Gras, und ich stürze gleich die halbe Flasche meiner 1,5 l Energate geht hinunter – der pure Blödsinn wie sich später zeigen sollte.
Durch diese KO-Rast verlieren wir mindestens so viel Zeit, wie wir gewonnen zu haben wähnten. Und dann müssen wir auch noch feststellen, dass wir viel zu hoch oben waren und daher wieder runter zur Alm Stalli Ruschis müssen.
Das deutet sich zum ersten Mal an, dass es mit dem Wetter heute vermutlich nicht 100-prozentig zum allerbesten bestellt ist. Dieser Schauer dauert nur kurz, wir sehen noch kein Grund zur Beunruhigung, staunen über den friulanischen Adler, der über uns kreist, legen uns am Monte Plagna (857 m) wieder hin, vergessen die Zeit, gratulieren meinem Enkel Levi zum Geburtstag und werden erst durch das Gerumpel am Himmel in die Realität zurückgeholt.
Nun müssen wir doch noch die Regenkleider im Schnellverfahren auspacken, nun donnert und blitzt es ringsrum. Nun fällt das Wandern schwerer, nun verrinnt die Zeit, nun zeigt sich auch, dass die Wegmarkierung hier alles andere als gut sind.
Mitten im Wald verfransen wir uns, steigen erneut auf statt ab, rasten, essen, stellen fest, dass wir zwar auf der App die Hälfte der 17 km, die dort angegeben sind, absolviert haben, aber ein Blick auf die Karte zeigt auch: in Wahrheit stimmt das gar nicht – uns erwartet noch eine riesige Strecke und eine enorme Steigerung. Und es geht schon gegen 16 Uhr!
Hätte ich mich früher an den Erdkunde-Unterricht mit Dietrich Lange am Parler-Gymnasium in Schwäbisch Gmünd erinnert, dann wär mir eher ins Bewusstsein gekommen: Dieser Gebirgszug im Karst ähnelt der Schwäbischen Alb – Wasser absolute Mangelware. Und so sind wir heilfroh, dass wenigstens an der Alpini-Gedenkstätte am Sella Segata ein bisschen Nass aus den Felsen rieselt und wir unsere Flaschen wieder auffüllen können.
Der Weg ist jetzt nicht schlecht und wird durch Wald und saftige Wiesen, aber der Kampf gegen die Uhr fordert eben doch seinen Tribut. Es geht nur noch um „Voran, voran“, für Blicke in die Natur bleibt keine Zeit.
Mit diesen Kampf hat auch eine gewisse Leere im Kopf einher, mein Gehirn fühlt sich an, als fehle dort irgendwas, als ich endlich auf der ersehnten Kreuzung hinter dem Ta-na-Kope in die Wiese falle, will ich nur noch trinken.
Wir haben jetzt gerade mal die 1200-m-Marke erreicht, 450 m müssen wir noch nach oben. Aus der Komoot-App lese ich ab, dass die eigentliche Steigung, die letzte Herausforderung, erst etwa 2 km vor dem Ziel beginnt. Obwohl ich stehend k.o. bin, schaffe ich noch einen passablen Sauseschritt, aber die Sonne versinkt fast im selben Tempo. Zudem ziehen schwarze Wolken auf.
Auf einer verlassenen Alm, wo ich kurz überlegen, ob wir uns nicht ein Vor-Dach überm Kopf suchen, prtatzelt dann der Regen herab. Wieder umziehen, wiederum rennen, wieder fast unbegangene Wege deuten…
Ich staune über mich, daß ich das mit diesem schweren Rucksack packe. Zumal es es immer finsterer wird.
Doch das Muß motiviert. „Wat mutt datt mutt“, hat Björn Engholm ja angeblich das Motto der Schleswig-Holsteiner zitiert. Auf jeden Fall stimmt es jetzt. Wir haben keine andere Wahl. Allerdings wird das Gelände immer schwieriger, und das meine Kraft nachlässt, merke ich am ehesten an den Konzentrationsschwächen, die mich stürzen lassen.
Ab jetzt geht Christine voran, versorgt mich mit Trinken. Ich weiß nur noch, dass ich in diesem verdammten Ricovero Igor Grasso ankommen will und auch dort ankommen werde. Dessen bin ich mir trotz meiner Wackligkeit bewusst.
Die Zeit verrinnt, der Mond hat es schwer, gegen die Wolken anzukämpfen, aber dann schafft er es doch. Kurz nach 22:00 Uhr steht dann plötzlich doch die Schutzhütte vor uns – unvermittelt. Ein herrlicher Anblick. Ich will nix mehr essen, nix mehr trinken, nur noch auf 1654 m alle Viere von mir strecken.
PS: Es ist mir bewusst, daß es in Problem darstellt, hier im Blog die Wahrheit, die zweifelsohne mit Leichtsinn gepaart ist, zu schreiben. Abr die soll eine Warnung davor sein, während der ersten Kilometer dieser Etappe zu sehr zu trödeln.
Gegangen am 26. Juli 2018
Geschrieben am 28. Juli 2018
Reine Gehzeit: 7 Stunden
Länge: 22 Kilometer
Höhenunterschiede: 1700 Meter bergauf / 460 Meter bergab
Link zu Komoot: https://www.komoot.de/tour/40217472
Informationen zur Region: http://www.turismofvg.it