Ideal war diese „Einlauftour“ zum Rifugio Padova. Heute soll es härter werden. „Ganz hart“, haben mir Italiener beim Nachmittagskaffee gestern gesagt. Das läßt bei mir schon eine kleine Portion Mulmigkeit aufkommen.
Aber gut: Eine Hochgebirgstour bewegt sich nun mal nicht nur auf 1300 Höhenmetern. Das war mir von vornherein klar. Und als wir losgehen, wenden wir unsere Aufmerksamkeit ohnehin erstmal den vielen Holzskulpturen auf der Pra Del Toro (Stierwiese) zu. Freunde der Hüttenwirtsfamilie kommen da jeden Herbst und können sich da an einem Wochenende austoben. Viele schöne Dinge sind da entstanden: von einer Alpen-Version des Männeken Piss am Brunnen über lustige Gnome und den unvermeidlichen Adler bis hin zu Jesus Christ Superstar.
Anfangs geht es wie von alleine dahin. Der Wald wird immer lichter, und als wir dann zur Abzweigung am Arade-Tal (Val d´ Arade) kommen, bin ich super drauf: Das schaffe ich doch locker.
Nur ein paar Serpentinen später überfällt mich indes ein Schock: Wir stehen am Fuß eines riesigen Geröllhangs: 550 Höhenmeter müssen wir jetzt durch Schotter – und das bei einer Neigung, die jedes Hausdach locker übertrifft. Zudem existiert so gut wie kein Weg, die Markierungen sind eher als grobe Richtlinie zu verstehen, mit jedem Schritt, den man geht, verändert sich das Terrain.
Nun kapiere ich, was die Italiener zu mir gesagt hatten: „Da oben hat es schlimmes Eis“, hatte ich verstanden und mich schon gewundert, warum das im Sommer bei „nur“ 2300 Metern Höhe denn so sein sollte. Gesagt hatten sie aber wohl „schlimmer Schotter“. Klingt auf Italienisch ziemlich ähnlich. Zumindest in meinen Ohren.
Ich kämpfe mich bergauf, oft auf allen Vieren, hangle mich der Felswand entlang, nehme die Stöcke zur Seite und ziehe mich mit den Händen nach oben, sehne mich nach dem Hochvogel überm Lechtal, wo ein Drahtseil über ein ähnlich gewaltiges Geröllfeld gespannt ist und lerne, daß das Gebot „Du sollst nicht fluchen“ nicht immer so lupenrein zu befolgen ist.
Christine kommt mir da eher wie eine Gazelle vor, sie kommt viel besser mit dem Untergrund zurecht und entschwindet Meter um Meter vor mir. Da merkt man halt doch die gelernte Wanderführerin.
Doch gottlob gilt die Weisheit, daß alles mal ein Ende hat, auch für diesen vermaledeiten Hang. Nach zwei Stunden stehen wir dann abgekämpft aber glücklich auf den 2329 Metern der Montanaia-Scharte (Forcella di Montanaia) und halten ein Schwätzle mit Angela von der Alpenvereins-Sektion Rom. Sie bugsiert mit ein paar Freunden eine Jugendgruppe in entgegengesetzter Richtung über das Joch und berichtet uns, daß der Abstieg auch alles andere als leicht ist.
Zunächst genießen wir aber den Blick auf den imposanten Campanile Val Montanaia – eine Felsnadel, die sich 2173 Meter gen Himmel reckt. Der Name leitet sich von den in Italien oft separat stehenden Glockentürmen ab. Und tatsächlich wurde oben auf eine Glocke angebracht, wo man normalerweise ein Gipfelkreuz sieht.
Fotos vom Campanile begegnen uns auf unserem Weg durch die Friulaner Dolomiten auf jeden Fall massenweise. Für die Menschen hier scheint er ein Identifikationspunkt, ja eine Art Heiliger Berg zu sein.
Nach unserer Rast am Bivacco Perugini direkt zu Füßen des Campanile merke ich, was Angela mit ihrer Bemerkung gemeint hat: Der Weg hinunter durchs Fontanaia-Tal (Val Fontanaia) führt nämlich durch eine zunächst enge Schlucht, immer dem Wildbach entlang und oft durch den Wildbach hindurch.
Auch hier muß man gut aufpassen und öfter mal die Hände benutzen. Aber mir ist das jetzt angenehmer. Das Wasser transportiert den Schotter weiter nach unten, wann immer es die Chance dazu hat – und das heißt: In der Regel hab ich festen Boden unter den Füßen.
Als sich das Tal weitet, ändert sich das freilich wieder, der Abstieg fällt mir schwer, weil das Geröll wieder die Macht übernommen hat. Und umso schwerer, als mir klar wird, daß das, was mich am linken Fuß bei jedem Tritt auf einen einzelnen Stein quält, wohl doch ein Fersensporn ist, der wegen meiner vielen Touren für mein Klosterwanderbuch nicht so recht ausheilen konnte. Und so mache ich eine Art Selbstgeißelung durch. Schritt für Schritt.
Erlösung naht erst, als wir fast unten im Tal auf einen Waldweg mit sanften Untergrund wechseln können.
Und dann ist auch schon schnell die Rettung da: das Rifugio Pordenone auf 1249 Metern. Rund 1100 Höhenmeter bergab haben wir also auch in den Knochen.
Aber dafür werden wir sogar mit einem Zimmer nur für uns zwei belohnt. Auch das Essen ist okay, und so stören uns auch die Kinder des Alpenvereins Rom nicht, die hier untergebracht sind, weil der Weg über die Montanaia-Scharte noch nichts für sie ist.
Hier die Komoot-Aufzeichnung der Tour (bezüglich der Wanderzeit wie immer mit Vorsicht zu genießen, in der Realität waren wir fast neun Stunden unterwegs):
https://www.komoot.de/tour/39068266
Und hier unsere Unterkunft:
http://www.rifugiopordenone.it
Gegangen am 16. Juli 2018
Geschrieben am 19. Juli 2018