Dass wir angesichts dieser Strapaze am Tag zuvor topfit seien, kann und will ich wahrlich nicht behaupten. Ich bin auf jeden Fall zutiefst dankbar für die (vermutliche) einstige Militärstraße, die mir, obwohl sie rechtschaffen steinig ist, die 100 Höhenmeter hinauf zum Dordona-Pass doch einigermaßen erträglich macht.
Oben legen wir ein zweites Frühstück ein. Das erste auf der Hütte war nicht allzu üppig und doch ziemlich Zwieback-basiert. Auch hier oben finden sich wieder Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg. Allerdings nur aus der dritten Reihe. Hätten es die Österreicher ins Veltlin geschafft, hätte man sie hier erneut zu stoppen versucht. Gebaut wurden sie zwar, aber so richtig benutzt wohl nie. Aber sie sind Touristen-Attraktionen für die Italiener, die an diesem herrlichen Morgen aus dem in der Lombardei wohl ziemlich bekannten Urlaubsort Foppolo mit ihren Familien hier hoch wandern und die Spuren ihrer großen Vergangenheit besuchen und mal mehr, mal weniger bewundern.
Wir bewundern stattdessen den Lago de Trote. Den Namen (Forellensee) hielt ich zuerst mal für eine Übertreibung, aber als ich dann wirklich dort bin, muß ich Abbitte leisten. Schon die Lage ist ein Traum, das Wasser hier jenseits der 2000-er-Marke glasklar. Und da es glühend heiß ist, tue ich es jetzt erstmals Christine undauch meinem verehrten Vater Kneipp nach und steige ins eiskalte Nass.
Und tatsächlich: Um mich wuseln kleine Fischle. Ob die nun „richtige“ Forellen sind oder erst noch werden, weiß ich nicht und stört mich auch nicht. Ich sitze einfach im Wasser und beobachte. Und das tun auch meine Pendants im Wasser. Manche sind ganz schön neugierig und wagen sogar, an meinen Hautschuppen zu knabbern.
Ich genieße diese Momente, fühle mich ganz bei mir. Ich könnte stundenlang hier sitzen, und wir tun das auch. Was sich später leider Gottes rächen soll. Aber daran denke ich jetzt erst mal nicht. Als wir weitergehen, ist es schon fast Mittag, und wir haben erst rund ein Viertel der heutigen Strecke geschafft.
Noch stört uns das nicht. Etwas blümerant wird es mir höchstens, als und Kompass-Wanderkarte, Beschilderung und Markierungim Ärger-Dreiklang nochmals aufhalten. Es dauert, bis der richtige Weg identifiziert ist, es dauert noch länger, ihn dann auch zu gehen.
Zumal er dann doch durch das Skigebiet von Foppolo führt. Zwar nicht lang. Aber dann doch über Pisten-Schotter und an Liftmasten vorbei. So bin ich froh, das wir endlich über das Joch kommen, ab dem man das Ski-Gebiet von Foppolo hinter sich lassen kann (auch wenn es beileibe nicht so schlimm ist wie das französische Isola 2000, das wir auf der Grade Traversata Delle Alpi – GTA – durchschreiten mußten).
Im Moment machen mir die Abstiege mehr zu schaffen als die Aufstiege. Ich fühl mich mal wieder wie in meiner Lieblings-Till-Eulenspiegel-Geschichte: Der freute sich immer, wenn er bergauf mußte, und weinte, als es hinunter ging. Seine Erklärung: Wenn er hinunter geht, ist ihm klar, saß er sich danach gleich wieder bergauf schinden muß.
Das trifft unsere Situation. Und die verschlimmert sich noch, als wir an einer entscheidendenStelle die Abzweigung nach links verpassen und viel tiefer ins Tal absteigen als wir eigentlich müßten. Was ist Umkehrschluss auch heißt: Wir müssen auch nochmals höher hinauf, als wir eigentlich müßten.
Langsam ist mir alles egal. Da hinauf zum Rifugio Fratelli Longo eine Schotterpiste führt, wäre ich auch zum „Trampen“ bereit, obwohl ich das selbst als Schüler nicht möchte. Selbst ist schließlich der Mann.
Ein Berg-Taxi, das uns entgegen kommt, erscheint mir zunächst wie ein Geschenk des Himmels, entpuppt sich aber leider nicht als solches: Der Mann hat noch eine andere Fahrt und die zu einer anderen Hütte. Kann nix für uns tun.
Also beißen wir in den mega-sauren Apfel und schleppen uns Höhenmeter auf Höhenmeter hinauf. Es ist schon wieder abends 8, als wir das Rifugio Fratelli Longo erreichen, nach uns kommt noch ein Einheimischer, der der Hitze drunten im Tal entfliehen will.
Der Hüttenwirt sieht uns auf den ersten Blick an, daß wir total erledigt sind und warnt uns vor der abermals extralangen Etappe am nächsten Tag. Aber da haben wir uns schon längst entschieden: Wir genießen das herrliche Abendessen, gehen dann ins Bett und legen am nächsten Tag eine Pause ein.
Denn gottlob ist in der Nähe Wasser genug. Der Stausee, der auch noch den Namen Diabolo (Teufel) trägt, sagt uns nicht zu, aber nur etwa 50 Höhenmeter tiefer befinden sich drei kleine Weiher, an denen wir den Tag herrlich vergammeln und in denen wir uns immer wieder erfrischen.
Wie sich später herausstellt, fange ich mir dabei aber leider einen kräftigen Sonnenbrand auf dem Rücken ein.
Gegangen und gegammelt am 2. und 3. August 2017
Geschrieben am 10. August 2017
Start: 7.30 Uhr
Ziel: 20 Uhr
Höhenunterschied: 1200 Meter auf und ab
Übernachtung: Rifugio Fratelli Longo; nur Massen-Schlafzimmer, aber sehr gute regionale Küche