Am Rande des Schweizer Nationalpark war’s. Im schönen Graubünden. Von Bad Scuol nach Samnaun waren wir unterwegs. Und freuten uns riesig. Der Prospekt des Tourismusverbandes verhieß uns, dass uns zwischen der Heidelberger Hütte und der Steuer-Oase mit ihren exclusiven zollfreien Shops oben auf der Passhöhe Steinböcke grüßen. Ein einmaliges Erlebnis.

Wenn einem so was winkt, dann motiviert es. Frohgemut stiegen wir also durch Wiesen und Felsen hoch zum Zeblasjoch. Dass wir ganz schön ins Schwitzen kamen, machte uns nichts aus – die Steinböcke sollten uns ja für jeden einzelnen Schweißtropfen entschädigen.

Nach zwei Stunden hatten wir es geschafft, standen auf dem gut 2500 Meter hohen Fuorcla (wie die Graubündner zu einem Pass sagen), blickten hinauf zum Piz Rots, der es auf fast 3100 Meter bringt, guckten uns die Augen aus und sahen – rein gar nichts. Nicht einen einzigen Steinbock. Geschweige denn eine Kolonie. So weit das Auge reichte.

Pech gehabt! Aber beim Wandern geht es nun mal wie im richtigen Leben zu. Auch da werden ja oft Erwartungen geweckt – und am Ende guckt man nur ins Nichts.

Sei’s drum! Es gibt ja auch das genaue Gegenteil. Selbst auf einer eher gemütlichen Tour durch Bayerns Berge. Das Brauneck-Gipfelhaus bei Lenggries (http://www.brauneckgipfelhaus.de) ist zwar ein herrlicher Aussichtspunkt mit herzlichen Wirtsleuten und einer tollen Küche (eine Spezialität: Kaiserschmarren), aber  die Tour zum Latschenkopf und ins Probst- und Längental bietet zwar ebenfalls tolle Panoramen, ist aber nicht gerade eine alpine Herausforderung. Das Brauneck liegt auf 1555 Meter, der Latschenkopf auf 1712 – was kann man da schon groß erleben!

Denken wir auch. Achten gut auf unsere Schritte, denn der Weg hinab ins Probsttal ist schmal und manchmal schottrig. Wir biegen um einen Felsen, denken an nichts Spektakuläres – und stehen plötzlich einem Steinbock gegenüber. Aug in Aug. Zum Greifen nah. Ein Fernrohr ist unnötig, ja geradezu überflüssig.

Der Beweis: der Steinbock war keine Fata Morgana!

Und der Junge scheint genauso verdutzt wie wir. Regt sich nicht. Schaut uns nur an. Minutenlang. Keiner von uns rührt sich. Wir, weil wir das genießen. Er vielleicht, weil er nicht weiß, ob er nun Angst haben soll oder nicht.

Für uns ist das Geschenk. Das Staunen erreicht über die Augen unser Herz, breitet sich im ganzen Körper aus, löst ein Glücksgefühl aus. Dass wir das noch erleben dürfen! Dass wir keine Sekunde damit gerechnet hatten, dass kein Prospekt uns diese Begegnung  angekündigt hatte, macht das Erlebnis noch größer. Und bis heute begleitet es uns und wird es noch weiter tun.

Wie schön ist es, wenn man noch staunen kann!

Ja, es war auch eine Lehre fürs Leben: Nicht alles lässt sich planen, nicht alles sich herbeischreiben. Das Glück kann von einer Sekunde zur anderen kommen. Unverhofft. Aber umso intensiver. Und dann ist es gut, auch innehalten zu können, das Staunen in einer Zeit, in der alles berechenbar und vorhersehbar scheint, nicht verlernt zu haben.

Wieder wie ein Kind dastehen und staunen zu können: Oh, wie gut das tut!